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DAS 5. OPFER

DAS 5. OPFER

Titel: DAS 5. OPFER Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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war. Sie stellte fest, dass sie sich nur vorwärtsbewegen konnte, indem sie eine Art hüpfenden Schlurfschritt machte, ihr Gesicht zu einer Grimasse des Schmerzes verzogen, und jedes Mal, wenn sie ihr ganzes Gewicht auf ihr rechtes Fußgelenk setzte, die Worte: Mist, verdammter Mist, gottverdammt ausstoßend. Dann fing es an zu regnen. Keine kleinen, glücklichen »I’m Singing in the Rain«-Tropfen, sondern es schüttete vom Himmel wie aus Kübeln.
    ENDLICH – SIE WAR DURCHNÄSST bis auf die Knochen, ihr war übel und ihr Kopf von Schmerz überschwemmt – kam das rot-weiß-blaue Zeichen der Airport-Lines-Bowlingbahn in Sicht. Es war halb acht. Reggie hüpf-schlurfte in Richtung des riesigen leuchtenden Kegels, formte in stetigem Rhythmus Mist, Mist, Mist mit den Lippen, jedes Mal, wenn ihr rechter Fuß den Boden berührte. Autos rasten an ihr vorbei, bremsten ab, aber keines hielt an, niemand kurbelte auch nur das Fenster herunter, um sie zu fragen, ob sie Hilfe brauchte.
    Als sie den Rand des Parkplatzes erreichte, sah sie ihre Mutter.
    Vera stand rauchend unter der rot-weiß gestreiften Markise, gut geschützt vor dem Regen. Ihr blondes Haar war perfekt frisiert, ihr grünes Kleid wogte im Wind. Reggie hob ihre Arme, um ihr zuzuwinken, doch ihre Mutter blickte von ihr weg, an dem riesigen Kegel vorbei, in Richtung Flughafen, wo gerade ein Flugzeug abgehoben hatte.
    »Mom!«, brüllte Reggie, dachte, ihre Mutter würde sich umdrehen, sehen, in was für einem Zustand sie war, und angerannt kommen. Sie war schließlich Reggies Retterin in Zeiten großer Not. Sie brauchte dieses Mal keine heldenhafte Vera, die einen Hund in ihrer Unterwäsche herumwirbelte, sondern nur eine Schulter zum Anlehnen und das Versprechen, sie nach Hause zu bringen und das Rad mit seinem platten Reifen auf dem Weg mitzunehmen.
    Veras Kopf war immer noch abgewandt, und jetzt sah Reggie, worauf sie blickte: Ein Auto war gerade auf den Parkplatz gefahren und war auf dem Weg zur Vorderseite des Gebäudes, mit angeschalteten Scheinwerfern und klatschenden Scheibenwischern. Der Fahrer bremste ab. Vera winkte, drückte ihre Zigarette aus.
    »Mom!«, schrie Reggie und hoppelte so schnell sie konnte über den Parkplatz.
    Vielleicht war es der strömende Regen, der Jet über ihren Köpfen, der Motor des Autos auf dem Parkplatz oder die Kombination aus allem – denn ihre Mutter hörte sie nicht.
    Das Auto hielt direkt neben der Markise, und Reggie bemerkte, dass das linke Rücklicht zerbrochen war. Der Fahrer beugte sich über den Sitz, und die Beifahrertür sprang auf. Die einzige Einzelheit, die Reggie ausmachen konnte, war, dass er eine Baseballkappe trug. Vera schlüpfte hinein. Sie blickte nicht in Reggies Richtung.
    »Mom!«, schrie Reggie noch einmal, legte ihre Hände um ihren Mund. »Nicht!«
    Zu spät.
    Der braune Sedan fuhr davon.

19 17. Oktober 2010 – Brighton Falls, Connecticut
    NACH IHREM WAFFENSTILLSTAND MIT Tara ging Reggie zurück in die nach Rauch riechende Küche. Lorraine saß am Tisch und schnüffelte. George saß neben ihr, hielt ihre Hand und rieb ihr den Rücken. Er blickte auf, als Reggie hereinkam. Er sah fast genauso aus, wie Reggie ihn in Erinnerung gehabt hatte, mit seinen spitzen Onkel-Maus-Gesichtszügen, doch da waren winzige Knitterfalten um seine Augen, sein Haar war mit Grau durchsetzt und sein Haaransatz war noch weiter zurückgegangen. Er trug eine runde Brille mit einem silbernen Metallrahmen. Er hatte Khakihosen und ein ordentlich gebügeltes blaues Hemd mit geknöpftem Kragen an.
    »Reggie«, sagte George und erhob sich für das, was, wie Reggie annahm, eine Umarmung werden würde. Er war kleiner, als Reggie in Erinnerung hatte, oder vielleicht hatte er eine gebeugtere Haltung angenommen, seine Schultern krümmten sich nach vorne wie bei einem Mann, der zahllose Niederlagen erlitten hatte.
    Statt Reggie zu umarmen, ging er an ihr vorbei, sagte: »Lass uns rausgehen und ein bisschen Luft schnappen«, und lief den Flur entlang. Lorraine blieb an ihrem Platz am Tisch, mit gesenktem Kopf, und tupfte ihre Augen mit einem zerknüllten Taschentuch ab.
    »Was hast du zu Lorraine gesagt?«, fragte George, sobald sie im Garten waren; der Schatten des Hauses umgab sie, verdunkelte alles. Sie standen mit Blick auf Reggies altes Baumhaus. Das Dach war noch in gutem Zustand, aber die Fenster waren niemals fertiggestellt worden. Die Strickleiter schaukelte, die hölzernen Sprossen waren stellenweise verrottet, und

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