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DAS 5. OPFER

DAS 5. OPFER

Titel: DAS 5. OPFER Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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Kontrolle geriet, und es fühlte sich gut an. Sie machte einen Schritt auf George zu und zeigte grimmig auf ihn. »Ich habe getan, was auch immer ich konnte, um so weit wie möglich von diesem Ort wegzukommen, diesem Ort, wo ich eine Fremde in meinem eigenen Haus war, wo überall Schmerz und Verlust lauerten. Also wage es nicht, dazustehen und zu versuchen, mir Schuldgefühle einzureden. Ich bin, wo ich bin, durch meine eigene Kraft. Durch niemand anders.«
    Reggie drehte sich schwer atmend weg. Sie blickte durch das kleine Fenster Richtung Moniques Wunsch. Es wirkte schief aus diesem Blickwinkel, die Nachmittagssonne fiel auf die abgenutzten und zerbrochenen Schindeln auf dem Dach, die Steinmauern schienen sich nach links zu lehnen, dann nach rechts.
    George murmelte etwas, aber sie hatte ihr falsches Ohr in seiner Richtung und verstand es nicht. Alles, was sie hörte, war ein Wort: undankbar.
    »Ich bin fertig«, sagte sie und stakste aus der Garage.
    Reggie bewegte sich über die Einfahrt zum Haus hin, langsam zuerst, dann mit Entschlossenheit. Bevor es ihr klar wurde, war sie bereits am Laufen, ihr war nur eines klar: Es war falsch gewesen, zurückzukommen. George und Lorraine hatten offensichtlich ihre eigene Version der Geschichte, in der Reggie der fiese, undankbare Bösewicht war, verantwortlich für all den Schmerz in ihrer kaputten kleinen Kernfamilie. Zur Hölle mit ihnen allen.
    »Regina?«, rief George hinter ihr her, aber sie drehte sich nicht um.
    Sie ging hinein, kam an der Küche vorbei, wo sie hören konnte, wie ihre Tante Tee kochte. Sie ging eilig nach oben und in ihr Zimmer, wo sie die Tür fest hinter sich verschloss und sich einen Moment mit ihrem Rücken dagegenlehnte. Sie hörte unten George hereinkommen. Da war das Schaben von Stühlen auf dem Küchenboden, das leise Gemurmel von Stimmen. Sie drehte sich um, presste ihr gutes Ohr gegen die Tür, versuchte zu hören, was sie sagten.
    »Wir haben unser Bestes getan«, sagte George. Und dann begann Lorraine wieder zu weinen.
    »O bitte, verschone mich«, zischte Reggie.
    Im Zimmer nebenan hörte sie Vera sagen: »Sind Sie jemals in Argentinien gewesen, meine Liebe?«
    »Nein«, sagte Tara zu ihr. »Nein, bin ich nicht.«
    Reggie blickte zu den Wasserflecken an der Decke auf, den Kreisen, die wie schiefe gelbe Bullaugen aussahen. Die Steinwand auf der Nordseite ihres Zimmers war wie die Wand eines Gefängnisses – dunkel, dick und undurchdringlich. Und wie die Wand eines Gefängnisses hatte sie, so stellte sie sich vor, Teile der Leben in sich aufgenommen, die sie umgab. Die Steine in der Wand, wie Hunderte trüber Augen, hatten Reggie beim Aufwachsen zugesehen, kannten all ihre Geheimnisse.
    Mit wütend hämmerndem Herzen packte sie schnell ihre Sachen, während die Steine in der Wand ihr zusahen – zog die ordentlichen Stapel mit Kleidung aus dem Schreibtisch und legte sie in ihren Rollkoffer. Reggie zog den Reißverschluss ihres Koffers zu, schulterte ihre Umhängetasche und ging wieder den Flur entlang, die Treppe hinunter, durch das Wohnzimmer und aus der Vordertür. Ohne Weiteres war sie wieder siebzehn, schlich sich im Morgengrauen hinaus zu dem Taxi, das in der Auffahrt wartete, um sie zur Greyhound-Haltestelle zu bringen, wo sie einen Bus nach Providence besteigen würde, ohne sich auch nur zu verabschieden. Es war so einfach.
    Reggie sprang in ihren Truck, drehte den Zündschlüssel. Taras Gesicht erschien im Obergeschossfenster von Veras Zimmer, sie zog den Vorhang zur Seite. Tara drückte ihre Hand flach auf die Glasscheibe, ihre Handfläche war blass und geisterhaft.
    Reggie legte energisch den Rückwärtsgang ein, wendete, die Reifen wirbelten Kies auf. Sie stellte das Navi an und drückte den Knopf auf dem NACH HAUSE stand.

20 20. Juni 1985 – Brighton Falls, Connecticut
    REGGIES RADIOWECKER ZEIGTE 8.58 Uhr. Das Telefon klingelte. Reggie legte sich ein Kissen über den Kopf, wartete darauf, dass Lorraine abnahm. Der Schmerz in ihrem Fußgelenk war nur noch ein dumpfes Pochen. Die Packung mit gefrorenen Erbsen, mit der Lorraine sie ins Bett geschickt hatte, lag klamm auf ihren Zehen.
    Nachdem Reggie von dem Münztelefon vor der Bowlingbahn zu Hause angerufen hatte, war Lorraine gekommen und hatte sie abgeholt, das Rad eingesammelt und Reggie zur Notaufnahme gebracht. Es war nur eine Verstauchung, aber sie sollte den Fuß so wenig wie möglich belasten, bis er geheilt war. Reggie hatte Lorraine erzählt, dass ihre Mutter in ein

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