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DAS 5. OPFER

DAS 5. OPFER

Titel: DAS 5. OPFER Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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wühlte. Über ihr ging die Tür ganz auf, und eine Gestalt kauerte sich hin und grinste wie ein Honigkuchenpferd.
    »Brauchst du Auftrieb?«, fragte er mit schmeichlerischer Stimme, als er ihr die Hand hinstreckte.
    »Charlie?«, stammelte sie und hielt ihm seine Hand hin, ließ zu, dass er ihr ins Baumhaus hinaufhalf.
    »Gott, Reggie, ich kann kaum glauben, dass du das bist. Du siehst großartig aus. Wirklich großartig.«
    »Du hast mir eine Scheißangst eingejagt!« Sie kletterte den restlichen Weg nach oben und steckte den Schraubenzieher zurück in ihren Gürtel. Sie staubte ihre Knie ab und machte einen Schritt rückwärts, damit sie ihn aus der Entfernung betrachten konnte. Er trug Jeans und eine braune Bomberjacke aus Leder. Er war größer und viel fülliger um die Mitte, als er damals gewesen war. Sein Gesicht, das früher dünn und kantig gewesen war, war dick und teigig, pausbäckig, wie bei einer Dogge. Seine Haare waren dünner, und da waren Falten um seine verschwollenen Augen. Er sah seinem Vater sehr ähnlich, nur fehlte der große, buschige Schnurrbart. Ihr erster Gedanke war: Meine Güte, sehe ich für ihn auch so alt und beschissen aus?
    »Es tut mir leid«, sagte Charlie und beäugte den riesigen Schraubenzieher. »Ich habe heute Morgen in den Nachrichten von der Sache mit Tara gehört. Und sie sagten, deine Mutter wäre zurück. Dann habe ich online nachgesehen und dieses Bild von vor einigen Tagen von dir und deiner Mutter vor dem Haus gesehen. Ich musste kommen und es selbst sehen. Und herausfinden, ob du irgendetwas Neues von Tara gehört hast.«
    Da war er wieder: dieser alte Funke von Eifersucht, den Reggie immer verspürt hatte, wenn Charlie Taras Namen ausgesprochen hatte. Dumm, das jetzt zu empfinden. Ganz besonders jetzt, da sie ihn ansah und keine quälende Liebe oder romantische Gefühle mehr da waren. Sie fand ihn nicht einmal ein bisschen attraktiv. Es war seltsam, zu denken, dass das der Junge war, nach dem sie sich jahrelang gesehnt hatte, das reale Objekt ihrer unerwiderten Liebe. Die ganze Sache erschien ihr … ziemlich enttäuschend.
    Dies war der Junge, mit dem sie aufgewachsen war und den sie in ihrem Fantasieleben immer und immer wieder geheiratet hatte, in dem alternativen Universum, in dem Neptun Vera nie entführt hatte und alles sich so entwickelt hatte, wie es vorgesehen gewesen war, bevor so ein psychotischer Mistkerl alles durcheinandergebracht hatte.
    »Also bist du hergekommen und hast im Baumhaus nach mir gesucht?«
    »Nein! Natürlich nicht. Ich bin zu deinem Haus gegangen und wollte gerade zur Vordertür gehen, als ich das Baumhaus sah. Ich konnte nicht widerstehen, musste hochkommen und einen Blick darauf werfen.«
    Sie nickte. Sie war überrascht, dass sie bis jetzt widerstanden hatte. Das Baumhaus wies, wie Moniques Wunsch, Spuren von Alter und Vernachlässigung auf. Der Bretterboden fühlte sich unter ihren Füßen elastisch an; das Dach war leck. Die leeren Löcher, wo die Fenster hätten hinkommen sollen, hatten jahrelang Regen und Schnee hereingelassen, die stillschweigend das Holz verrotten ließen. Da in der Ecke war der Stapel mit Spielen, den sie zurückgelassen hatten: Cluedo, Monopoly, Das Spiel des Lebens und das Ouija-Brett. Die Schachteln waren verblasst und ramponiert, angefressen von Mäusen und nistenden Eichhörnchen. Da war eine Coke-Flasche, die mit Taras alten Zigarettenstummeln vollgestopft war. Es war, als würde man eine Zeitkapsel betreten.
    »Warum hast du nicht geantwortet, als ich von unten rief?«, fragte Reggie.
    »Ich schätze, ich bin in Panik geraten. Mir wurde klar, dass ich wie ein Verrückter wirken würde, also dachte ich, wenn ich still halte, wirst du vielleicht einfach weggehen und ich kann nach kurzer Zeit herunterkommen und wie ein normaler Besucher an der Tür klopfen.«
    Reggie nickte. Das erschien ihr plausibel. Seltsam, aber plausibel.
    »Es ist also wahr?«, fragte er. »Deine Mutter ist wieder da? Ist sie jetzt im Haus?«
    Reggie nickte.
    »Unglaublich«, sagte er. In seinem Atem schwang ein leichtes Keuchen mit, als hätte er Asthma bekommen. Reggie schätzte, dass er einfach außer Form und so viel Aufregung nicht gewöhnt war.
    Charlie war nie für Aufregung zu haben gewesen.
    »Erzähl mir davon.«
    Charlie trat gegen ein loses Bodenbrett. »Ich kann kaum glauben, dass dieses Haus noch steht. Hier zu sein, nimmt einen mit zurück in der Zeit, nicht wahr?«
    Das tat es mit Sicherheit. Sie konnte beinahe die

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