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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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erstreckten. Ballard rief Mironenko nach, er solle nicht so schnell gehen. Der Russe blieb stehen und drehte sich zu Ballard um, und sein Schatten waberte im belagerten Licht. War es ein Trick des Nebels, oder hatte sich Mironenkos Zustand in den Minuten, seit sie das Haus verlassen hatten, verschlechtert? Sein Gesicht schien zu nässen, die Flecken am Hals waren noch mehr angeschwollen.
    »Wir brauchen nicht zu laufen«, sagte Ballard. »Sie folgen uns nicht.«
    »Sie folgen immer«, antwortete Mironenko, und als solle der Antwort Nachdruck verliehen werden, hörte Ballard nebelgedämpfte Schritte in einer angrenzenden Straße.
    »Keine Zeit für Diskussionen«, murmelte Mironenko, drehte sich auf dem Absatz herum und lief weiter. Der Nebel hatte ihn binnen Sekunden wieder verschluckt.
    Ballard zögerte noch einen Augenblick. So gefährlich es war, er wollte die Verfolger kurz sehen, damit er sie künftig kannte. Aber als Mironenkos leise tapsende Schritte in der Ferne verstummten, stellte er fest, daß auch die anderen Schritte aufgehört hatten. Wußten sie, daß er auf sie wartete?
    Er hielt den Atem an, aber sie waren weder zu hören noch zu sehen. Der pflichtvergessene Nebel lungerte weiter herum.
    Ballard schien alleine darin zu sein. Widerstrebend gab er es auf, zu warten, und eilte dem Russen im Laufschritt hinterher.
    Ein paar Meter weiter gabelte sich die Straße. Von Mironenko war in beiden Richtungen nichts zu sehen. Ballard verfluchte seine Dummheit, weil er zaudernd zurückgeblieben war, und lief in die Abzweigung, die am dichtesten vom Nebel verhüllt war. Die Straße war kurz und hörte an einer mit Scherben gekrönten Mauer auf, hinter der sich eine Art Park befand. An dieser Stelle feuchten Bodens klammerte sich der Nebel zäher fest als an der Straße, und Ballard konnte nicht weiter als vier oder fünf Meter sehen. Aber er wußte instinktiv, daß er sich für die richtige Straße entschieden hatte. Mironenko hatte diese Mauer überwunden und wartete irgendwo in der Nähe auf ihn. Der Nebel hinter ihm wahrte die Ruhe. Die Verfolger hatten ihn entweder verloren oder sich verirrt, oder beides. Er zog sich an der Mauer hoch, wobei er die Scherben um Haaresbreite verfehlte, und sprang auf der anderen Seite hinunter.
    Die Straße war schon so leise gewesen, daß man eine Stecknadel fallen hören konnte, aber hier im Park war es noch leiser. Der Nebel hier war kühler und drückte sich beharrlicher gegen ihn, während er über das nasse Gras ging. Die Mauer hinter ihm – sein einziger Fixpunkt in dieser Wüste – wurde zum Schatten ihrer selbst und verblaßte dann völlig. Entschlossen ging er ein paar Schritte weiter, war aber nicht sicher, ob er überhaupt den richtigen Weg eingeschlagen hatte.
    Plötzlich wurde der Nebelvorhang beiseite gezogen, und er sah wenige Meter entfernt eine Gestalt, die auf ihn wartete. Die Blutergüsse verzerrten sein Gesicht inzwischen so schlimm, daß Ballard ihn gar nicht als Mironenko erkannt hätte, wären nicht die immer noch leuchtenden Augen gewesen.
    Der Mann wartete nicht auf Ballard, sondern drehte sich herum, verschwand im Substanzlosen und überließ es dem Engländer, der Jagd und Beute gleichermaßen verfluchte, ob er ihm folgen wollte oder nicht. Er spürte eine Bewegung in der Nähe. Seine Sinne waren in der klammen Umarmung von Nacht und Nebel nutzlos, aber er sah mit jenem anderen Auge, hörte mit jenem anderen Ohr und wußte, daß er nicht alleine war. Hatte Mironenko den Wettlauf aufgegeben und kam zurück, um ihn zu begleiten? Obwohl er wußte, daß er damit seine Position allen und jedem zu erkennen gab, sprach er den Namen des Mannes aus, da er ebenso sicher war, daß seine Verfolger ohnedies schon genau wußten, wo er stand.
    »Sagen Sie etwas«, forderte er.
    Er bekam keine Antwort aus dem Nebel.
    Dann: Bewegung. Der Nebel wirbelte um sich selbst, und Ballard erblickte eine Gestalt, die die Schleier teilte. Mironenko! Er rief dem Mann nochmals hinterher und folgte ihm ein paar Schritte in den Nebel, als sich ihm etwas entgegenstellte. Er sah das Phantom nur einen Augenblick, gerade lange genug, daß er glühende Augen und gewaltige Zähne erkennen konnte, die den Mund zu einer dauernden Grimasse verzerrten.
    Dieser Tatsache – Augen und Zähne – war er sich gewiß. Bei anderen bizarren Einzelheiten – borstige Haut, monströse Gliedmaßen – war er nicht so sicher. Vielleicht verlor sein von zuviel Lärm und Schmerzen erschöpfter Verstand

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