Das 6. Buch des Blutes - 6
allmählich den Halt in der Wirklichkeit und erfand Schrecken, um ihn durch Angst wieder in Unwissenheit zu versetzen.
»Der Teufel soll euch holen«, sagte er und meinte sowohl den Donner, der wiederkam, um ihn zu blenden, als auch die Phantome, in deren Angesicht er geblendet werden würde. Fast wie um seinen Trotz auf die Probe zu stellen, leuchtete der Nebel vor ihm auf, teilte sich, und etwas, das er für einen Menschen hätte halten können, wäre es nicht mit dem Bauch am Boden gekrochen, war zu erkennen und verschwand wieder. Er hörte rechts von sich ein Knurren; links von ihm kam und ging eine weitere unbestimmbare Gestalt. Es schien, als wäre er von Wahnsinnigen und wilden Hunden umgeben.
Und Mironenko? Wo war der? Ein Teil dieser Versammlung, oder ihre Beute? Als er ein undeutliches Wort hinter sich hörte, drehte er sich herum und sah eine Gestalt, die wahrscheinlich die des Russen war, im Nebel verschwinden.
Diesmal lief er nicht, sondern nahm die Verfolgung rennend auf, und das wurde belohnt. Die Gestalt tauchte wieder vor ihm auf, und Ballard streckte sich, um das Jackett des Mannes zu packen. Mit den Fingern erwischte er die Beute, und mit einem Mal wirbelte Mironenko herum, ein Knurren drang aus seinem Hals, und Ballard sah in ein Gesicht, das ihm beinahe einen Aufschrei entlockt hätte. Der Mund eine offene Wunde, die Zähne riesig, die Augen Schlitze geschmolzenen Goldes. Die Knoten am Hals waren angeschwollen und noch mehr geworden, so daß der Kopf nicht mehr auf dem Körper saß, sondern Teil eines einzigen Klumpens war, Kopf und Rumpf ineinander übergehend ohne dazwischenliegende Achse.
»Ballard.« Die Bestie lächelte.
Die Stimme konnte sich nur unter größten Mühen verständlich machen, aber Ballard hörte dennoch einen Rest Mironenko heraus. Je eingehender er das wabernde Fleisch betrachtete, desto stärker wurde sein Ekel.
»Haben Sie keine Angst«, sagte Mironenko.
»Was ist das für eine Krankheit?«
»Die einzige Krankheit, die ich je hatte, war das Vergessen, und davon bin ich geheilt…« Er verzog beim Sprechen das Gesicht, als wäre jedes Wort im Widerspruch zu den Instinkten seines Halses geformt.
Ballard strich sich über die Stirn. Obwohl er sich gegen den Schmerz sträubte, wurde der Lärm immer lauter.
»… Sie erinnern sich auch, nicht wahr? Sie sind einer von uns.«
»Nein«, murmelte Ballard.
Mironenko streckte ihm eine borstige Handfläche entgegen.
»Haben Sie keine Angst«, sagte er. »Sie sind nicht allein. Es gibt viele von uns. Brüder und Schwestern.«
»Ich bin nicht Ihr Bruder«, sagte Ballard.
Die Stimme war schlimm, aber Mironenkos Gesicht war noch schlimmer. Er drehte ihm angeekelt den Rücken zu, aber der Russe folgte ihm.
»Haben Sie die Freiheit nicht gekostet, Ballard ? Und das Leben. Nur einen Hauch entfernt.«
Ballard ging weiter, und Blut floß aus seinen Nasenlöchern.
Er ließ es strömen.
»Es tut nur eine Weile weh«, sagte Mironenko. »Dann verschwinden die Schmerzen…«
Ballard hielt den Kopf gesenkt und sah zu Boden. Da Mironenko bemerkte, daß er wenig Eindruck hinterließ, blieb er zurück.
»Sie werden Sie nicht wieder aufnehmen!« sagte er. »Sie haben zuviel gesehen.«
Das Dröhnen der Hubschrauber übertönte diese Worte nicht ganz. Ballard wußte, daß sie zutrafen. Er hielt inne und hörte Mironenko durch die Kakophonie murmeln:
» Sehen Sie… «
Vor ihm war der Nebel etwas dünner geworden, die Mauer des Parks war hinter Nebelschwaden zu sehen. Mironenkos Stimme hinter ihm war zu einem Fauchen geworden.
» Sehen Sie, was Sie sind. «
Die Rotoren dröhnten, Ballards Beine fühlten sich an, als würden sie unter ihm nachgeben. Aber er ging weiter auf die Mauer zu. Als er nur noch wenige Meter davon entfernt war, rief Mironenko ihm noch einmal etwas hinterher, aber diesmal waren es überhaupt keine Worte mehr. Es war nur noch ein leises Knurren. Ballard konnte nicht widerstehen, er mußte hinsehen, nur einmal. Er sah über die Schulter.
Wieder trübte der Nebel seine Sicht, aber nicht völlig.
Augenblicke, die ein ganzes Zeitalter dauerten und doch viel zu kurz waren, sah er das Ding, das einmal Mironenko gewesen war, in all seiner Pracht, und bei diesem Anblick schwoll das Dröhnen der Rotoren zur Unerträglichkeit an. Er hielt die Hände vors Gesicht. Als er das tat, fiel ein Schuß; dann noch einer; dann eine ganze Salve. Er stürzte zu Boden, aus Schwäche und um sich selbst zu schützen, und als er die
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