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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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träge und linkisch vor. Es gab keinen Ausweg aus dieser Falle. Sie würden ihn in die Ecke drängen und auslöschen. Er war eine Bestie, ein wahnsinniger Hund im Labyrinth. Hätte er Suckling nur getötet, als er noch die Kraft dazu gehabt hatte. Aber was hätte das genützt? Die Welt war voll von Menschen wie Suckling, Menschen, die sich die Zeit vertrieben, bis sie ihr wahres Gesicht zeigen konnten, böse, weiche, verstohlene Menschen. Und plötzlich schien sich die Bestie in Ballard zu bewegen, und er dachte an den Park und den Nebel und Mironenkos lächelndes Gesicht, und er verspürte eine Woge der Trauer wegen etwas, das er nie gehabt hatte: das Leben eines Monsters.
    Gideon war die Treppe fast heraufgekommen. Obwohl er so das Unvermeidliche nur Augenblicke hinauszögern konnte, schlich Ballard am Geländer entlang in die erste Tür, die er fand. Es war ein Badezimmer. Die Tür hatte einen Riegel, den er vorschob.
    Plätschern von Wasser erfüllte den Raum. Die Regenrinne war gebrochen, ein Sturzbach ergoß sich auf den Fenstersims.
    Das Geräusch und die Kälte im Bad riefen ihm die Nacht der Halluzinationen ins Gedächtnis zurück. Er erinnerte sich an Schmerzen und Blut, erinnerte sich an die Dusche – Wasser, das ihm auf den Kopf prasselte und die Schmerzen beseitigte, die ihn zähmten. Als er daran dachte, kamen ihm unwillkürlich drei Worte über die Lippen.
    »Ich glaube nicht.« Er war gehört worden.
    »Hier oben ist jemand«, rief Gideon. Der Mann kam zur Tür und schlug dagegen. »Aufmachen!«
    Ballard hörte ihn deutlich, antwortete aber nicht. Sein Hals schmerzte, und das Dröhnen der Rotoren war wieder lauter geworden. Er lehnte den Rücken an die Tür und gab alle Hoffnung auf.
    Suckling war innerhalb von Sekunden die Treppe heraufgekommen und stand neben der Tür.
    »Wer ist da drinnen?« wollte er wissen. »Antworten Sie!
    Wer ist da drinnen ?« Da er keine Antwort bekam, befahl er, daß Cripps nach oben gebracht wurde. Neuerlicher Lärm, als dem Befehl Folge geleistet wurde.
    »Zum letzten Mal…« sagte Suckling.
    Der Druck in Ballards Kopf nahm zu. Diesesmal schien es, als hätte der Lärm tödliche Absichten. Die Augen taten ihm weh, als wollten sie aus den Höhlen quellen. Er sah etwas im Spiegel über dem Waschbecken, etwas mit leuchtenden Augen, und wieder kamen die Worte – »Ich glaube nicht« –, aber diesmal konnte sein Hals, der emsig mit anderen Dingen beschäftigt war, sie kaum artikulieren.
    »Ballard«, sagte Suckling. Das Wort drückte Triumph aus.
    »Mein Gott, wir haben Ballard auch. Heute ist mein Glückstag.«
    Nein, dachte der Mann im Spiegel. Es war niemand da, der so hieß. Es war überhaupt niemand da, der einen Namen hatte, denn waren Namen nicht die erste Tat des Glaubens, das erste Brett des Sarges, in der die Freiheit begraben wurde? Das Ding, zu dem er wurde, würde keinen Namen bekommen und nicht in einem Sarg landen und begraben werden. Nie mehr.
    Einen Augenblick verlor er das Bad aus den Augen und stellte fest, daß er über dem Grab schwebte, das sie ihn graben ließen, und in dessen Tiefe tanzte der Sarg, dessen Inhalt gegen das vorzeitige Begräbnis ankämpfte. Er konnte Holz splittern hören – oder war das die Tür, die eingeschlagen wurde?
    Der Sargdeckel flog davon. Ein Regen von Nägeln fiel auf die Köpfe der Trauergemeinde. Das Geräusch in seinem Kopf hörte plötzlich auf, als wäre ihm klargeworden, daß seine Qualen vergeblich waren, und mit ihm die Halluzination. Er war wieder im Bad, vor der offenen Tür. Die Männer, die ihn ansahen, hatten Gesichter wie Narren. Schlaff und vor Schock gelähmt – weil sie sahen, wie er beschaffen war. Weil sie seine Schnauze sahen, sein Haar, die goldenen Augen und die gelben Zähne. Ihr Entsetzen versetzte ihn in Hochstimmung.
    »Töten Sie es! « sagte Suckling und stieß Gideon durch die Tür. Der Mann hatte bereits die Pistole aus der Tasche geholt und legte an, aber der Zeigefinger war zu langsam. Die Bestie packte die Hand und quetschte das Fleisch um den Stahl herum zu Brei. Gideon schrie und taumelte zur Treppe, ohne auf Sucklings Rufe zu achten.
    Als die Bestie die Hand hob, um am Blut an der Handfläche zu schnuppern, schoß ein Blitz durch die Luft, und sie spürte einen Schlag gegen die Schulter. Aber Sheppard hatte keine Möglichkeit mehr, einen zweiten Schuß abzugeben, da war seine Beute schon durch die Tür und über ihm. Er ließ die Pistole fallen und unternahm einen vergeblichen

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