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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Sie sind nicht gegangen.«
    »Jetzt werde ich gehen, wo ich Sie gefunden habe.« Er drehte sich zu Ballard um. »Sie sind meine Rechtfertigung, der lebende Beweis dafür, daß meine Techniken funktionieren. Sie wissen vollkommen über Ihren Zustand Bescheid, und dennoch behält die Therapie die Oberhand.« Er wandte sich wieder zum Fenster. Regen prasselte gegen das Glas. Ballard meinte fast, ihn zu spüren, auf seinem Kopf, auf dem Rücken. Kühlen, erfrischenden Regen. Einen wonniglichen Augenblick lang schien er darin zu laufen, dicht am Boden, und die Luft war von den Gerüchen erfüllt, die der Wolkenbruch auf dem Pflaster freigesetzt hatte.
    »Mironenko hat gesagt…«
    »Vergessen Sie Mironenko«, antwortete Cripps. »Er ist tot.
    Sie sind der letzte der alten Ordnung, Ballard. Und der erste der neuen.«
    Unten läutete es. Cripps sah zum Fenster hinaus auf die Straße.
    »Schau, schau«, sagte er. »Eine Delegation, die uns bittet, zurückzukehren. Ich hoffe, Sie fühlen sich geschmeichelt.« Er ging zur Tür. »Bleiben Sie hier. Wir müssen Sie heute abend nicht herumzeigen. Sie sind müde. Sollen sie warten, hm?
    Sollen sie schwitzen.« Er verließ das stickige Zimmer und machte die Tür hinter sich zu. Ballard hörte seine Schritte auf der Treppe. Es klingelte zum zweiten Mal. Er stand auf und ging zum Fenster. Das erschöpfte Spätnachmittagslicht paßte zu seiner eigenen Erschöpfung; er und diese Stadt waren immer noch ein Fleisch und Blut, trotz des Fluchs, der auf ihm lastete. Unten stieg ein Mann aus dem Auto aus und kam zur Eingangstür. Ballard konnte selbst in diesem extremen Winkel erkennen, daß es Suckling war.
    Aus der Diele waren Stimmen zu hören, und mit Sucklings Eintreffen schien die Debatte noch hitziger zu werden. Ballard ging zur Tür und lauschte, aber sein drogenumnebelter Verstand konnte den Sinn des Streits nicht erfassen. Er betete, daß Cripps zu seinem Wort stehen und ihnen nicht erlauben würde, ihn anzusehen. Er wollte keine Bestie wie Mironenko sein. Es war keine Freiheit, so schrecklich zu sein, lediglich eine andere Form von Tyrannei. Aber er wollte auch nicht der erste von Cripps’ heldenhafter neuer Ordnung sein. Ihm wurde klar, daß er zu niemandem gehörte, nicht einmal zu sich selbst. Er war hoffnungslos verloren. Und doch, hatte nicht Mironenko bei ihrer ersten Begegnung gesagt, daß der Mann, der sich nicht für verloren hielt, verloren war? Vielleicht besser das – besser, im dämmrigen Zwielicht zwischen einem Zustand und dem anderen zu existieren und, so gut es ging, durch Zweifel und Doppeldeutigkeit zu gedeihen –, als die Gewißheit des Turms, jener mächtigen Festung, zu erdulden.
    Die Debatte unten wurde heftiger. Ballard machte die Tür auf, damit er besser hören konnte. Er hörte Sucklings Stimme.
    Ihr Tonfall war summend, aber deshalb nicht weniger bedrohlich.
    »Es ist vorbei…« sagte er zu Cripps, »… verstehen Sie kein gewöhnliches Englisch mehr?« Cripps wollte protestieren, aber Suckling schnitt ihm das Wort ab. »Entweder Sie verhalten sich wie ein Gentleman und kommen, oder aber Gideon und Sheppard tragen Sie hinaus. Was ist Ihnen lieber?«
    »Was soll das?« wollte Cripps wissen. »Sie sind ein Niemand, Suckling. Ein Lachschlager.«
    »Das war gestern«, antwortete der Mann. »Es haben einige Veränderungen stattgefunden. Jedes Ding hat seine Stunde, ist es nicht so? Sie sollten das besser wissen als jeder andere. Ich an Ihrer Stelle würde mir einen Mantel holen. Es regnet.«
    Ein kurzes Schweigen, dann sagte Cripps. »Also gut, ich komme mit.«
    »Gut«, sagte Suckling süßlich. »Gideon, sehen Sie oben nach.«
    »Ich bin allein«, sagte Cripps.
    »Ich glaube Ihnen«, sagte Suckling. Dann, zu Gideon:
    »Sehen Sie trotzdem nach.«
    Ballard hörte, wie jemand durch die Diele ging, dann plötzlich eine hastige Folge von Bewegungen. Cripps unternahm entweder einen Fluchtversuch oder griff Suckling an, eins von beidem. Suckling schrie auf; es kam zum Handgemenge. Dann durchschnitt die allgemeine Verwirrung ein Schuß. Cripps schrie auf, dann hörte man ihn stürzen.
    Nun Sucklings vor Wut belegte Stimme. »Dummkopf«, sagte er. »Dummkopf.«
    Cripps stöhnte etwas, das Ballard nicht verstand. Vielleicht hatte er darum gebeten, beseitigt zu werden, denn Suckling sagte zu ihm: »Nein. Sie kehren nach London zurück. Sheppard, stillen Sie die Blutung. Gideon, nach oben.«
    Ballard wich von der Treppe zurück, als Gideon heraufkam.
    Er kam sich

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