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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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gelten können, wären ihre Schwänze nicht gewesen.
    Er befürchtete zwar, daß Namen im Klan verboten sein würden, aber er fragte dennoch zwei Liebende, die sich im Schatten der Mauer paarten, ob sie einen Mann namens Mironenko kannten. Das Weibchen hatte einen glatten, haarlosen Rücken und ein Dutzend pralle Zitzen, die von ihrem Bauch hingen.
    »Hör doch«, sagte sie.
    Ballard lauschte und hörte jemanden in einer Ecke der Ruine sprechen. Die Stimme schwoll an und ab. Er folgte den Lauten durch das Innere, das nicht mehr überdacht war, bis zu einer Stelle, wo ein Wolf, der ein aufgeschlagenes Buch in den Pfoten hielt, vor einem aufmerksamen Publikum stand. Als Ballard näher kam, wandten ihm einer oder zwei aus dem Publikum die leuchtenden Augen zu. Der Lesende hielt inne.
    »Psst«, sagte einer, »der Genosse liest uns vor.«
    Es war Mironenko, der sprach. Ballard schlüpfte neben ihn in den Kreis der Zuhörer, während der Vorleser mit der Geschichte fortfuhr.
    » Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und
    mehret euch und füllet die Erde… «
    Ballard hatte diese Worte schon einmal gehört, aber heute nacht waren sie neu.
    »… und machet sie euch Untertan und herrschet über die
    Fische im Meer und über die Vögel im Himmel… «
    Er sah sich im Kreis der Zuhörer um, während der vertraute Rhythmus der Worte weiterging.
    » …und über alles Getier, das auf Erden kriecht. «
    Irgendwo in der Nähe weinte eine Bestie.

    Was dann geschah – als der Magier, nachdem er den Tiger im Käfig hypnotisiert hatte, an einer Kordel mit Quaste zog und ihm ein Dutzend Schwerter auf den Kopf fiel –, war Gegenstand hitziger Diskussionen in der Bar des Theaters und später, als Swanns Vorstellung vorbei war, auf dem Gehweg der Ein-undfünfzigsten Straße. Manche behaupteten, sie hätten in dem Sekundenbruchteil, als alle auf die herabfallenden Klingen schauten, mitbekommen, wie sich der Boden des Käfigs öffnete und der Tiger hastig weggescheucht wurde, damit die Frau im roten Kleid seinen Platz hinter den Gitterstäben einnehmen konnte. Andere beharrten ebenso felsenfest darauf, daß das Tier von Anfang an überhaupt nicht in dem Käfig war und seine Präsenz lediglich eine Projektion, die abgeschaltet wurde, als ein Mechanismus die Frau von einem Kellerraum auf die Bühne beförderte; dies natürlich mit solcher Geschwindigkeit, daß die Augen aller getäuscht wurden, abgesehen von denen, die schnell und argwöhnisch genug waren, daß sie es mitbekamen. Und die Schwerter? Der Trick, der sie innerhalb der wenigen Sekunden ihres Falls von funkelndem Stahl in Rosenblüten verwandelt hatte, bot den Diskussionen weiteren Zündstoff. Die Erklärungen reichten vom Prosaischen zum Weithergeholten, aber nur die wenigsten, die das Theater verließen, hatten überhaupt keine Theorie. Und die Diskussionen hörten auch hier, auf dem Gehweg, nicht auf. Sie wurden zweifellos in den Wohnungen und Restaurants von New York weitergeführt.
    Das Vergnügen, welches Swanns Illusionen bereiteten, war, wie es schien, zweifacher Natur. Erstens: das Schauspiel des Tricks selbst – der atemlose Augenblick, wenn die Skepsis, wenn schon nicht überwunden, so doch kalt erwischt wurde.
    Und zweitens, wenn der Augenblick vorbei war und wieder die Logik herrschte, die Diskussion darüber, wie der Trick bewerkstelligt worden war.
    »Wie machen Sie das nur, Mr. Swann?« wollte Barbara Bernstein eifrig wissen.
    »Es ist Magie«, antwortete Swann. Er hatte sie hinter die Bühne gebeten, damit sie den Tigerkäfig auf irgendwelche Manipulationen in der Konstruktion hin untersuchen konnte; sie hatte keine gefunden. Sie hatte die Schwerter untersucht; sie waren tödlich. Und die Rosenblüten duftend.
    Dennoch beharrte sie: »Ja, aber in Wirklichkeit.. .« Sie beugte sich dicht zu ihm.»Mir können Sie es doch sagen«, meinte sie, »ich verspreche Ihnen, ich werde keiner Menschenseele ein Sterbenswörtchen verraten.«
    Er lächelte sie anstelle einer Antwort langsam an.
    »Oh, ich weiß…« sagte sie. »Sie werden mir erzählen, daß Sie eine Art Pakt unterschrieben haben.«
    »Ganz recht«, sagte Swann.
    »… und es Ihnen verboten ist, Geschäftsgeheimnisse auszuplaudern.«
    »Mein Absicht ist es, Ihnen Vergnügen zu bereiten«, sagte er. »Ist mir das nicht gelungen?«
    »O doch«, antwortete sie ohne einen Augenblick des Zögerns. »Alle reden nur über die Vorstellung. Sie sind das Gesprächsthema von New York.«
    »Aber nein«,

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