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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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ich auch. Ich glaubte, wir hätten alles erledigt.
    Dann kam Butterfield, und mir wurde klar, wie naiv ich gewesen war. Sie werden Swann nicht in Frieden ruhen lassen. Jetzt nicht, und niemals. Wir müssen ihn retten, D’Amour.«
    Harry blieb stehen und sah dem Mann ins Gesicht. Wenn man ihm auf der Straße begegnete, überlegte er, würde man ihn nicht für einen Irren halten.
    »Ist Butterfield nach oben gegangen?« wollte Valentin wissen.
    »Ja. Warum?«
    »Erinnern Sie sich, ob er beim Sarg gewesen ist?«
    Harry schüttelte den Kopf.
    »Gut«, sagte Valentin. »Dann halten die Schutzmaßnahmen noch, das gibt uns etwas Zeit. Wissen Sie, Swann war ein brillanter Stratege. Aber er konnte sorglos sein. So haben sie ihn erwischt. Reine Sorglosigkeit. Er wußte, daß sie hinter ihm her waren. Ich habe es ihm gleich gesagt. Ich sagte, wir sollten die restlichen Vorstellungen absagen und nach Hause fahren. Dort hätte er wenigstens eine Zuflucht gehabt.«
    »Glauben Sie, daß er ermordet wurde?«
    »Mein Gott«, sagte Valentin, der fast an Harry verzweifelte, »selbstverständlich wurde er ermordet.«
    »Also kann man ihn nicht mehr retten, richtig? Der Mann ist tot?«
    »Tot, ja. Retten? Durchaus.«
    »Erzählen Sie eigentlich jedem solchen Schwachsinn?«
    Valentin legte Harry eine Hand auf die Schulter. »O nein«, erwiderte er mit nicht gespielter Aufrichtigkeit. »Ich vertraue niemandem so, wie ich Ihnen vertraue.«
    »Das kommt sehr plötzlich«, sagte Harry. »Dürfte ich nach dem Grund fragen?«
    »Weil Sie bis zum Hals in dieser Sache drinstecken, wie ich auch«, antwortete Valentin.
    »Nein«, sagte Harry.
    Aber Valentin achtete nicht darauf und sprach weiter: »Momentan wissen wir natürlich nicht, wie viele von ihnen hier sind. Sie haben vielleicht nur Butterfield geschickt, aber das halte ich für unwahrscheinlich.«
    »Für wen arbeitet Butterfield? Die Mafia?«
    »Das wäre ein Glück für uns«, sagte Valentin. Er griff in die Tasche und holte ein Stück Papier heraus. »Das ist die Frau, die bei Swann war«, sagte er, »in jener Nacht im Theater. Es wäre möglich, daß sie etwas von ihren Kräften weiß.«
    »Es gab eine Zeugin?«
    »Sie hat sich nicht gemeldet, aber sie war da. Sehen Sie, ich war sein Kuppler. Ich habe ihm geholfen, seine verschiedenen Seitensprünge zu arrangieren, damit ihn keiner je in Verlegenheit bringen konnte. Wenn Sie sie finden können…« Er verstummte unvermittelt. Irgendwo in der Nähe wurde Musik gespielt. Es hörte sich an, als würde eine betrunkene Jazzkapelle mit Dudelsäcken üben, eine pfeifende, heulende Kakophonie.
    Valentins Gesicht wurde auf der Stelle zu einer Maske der Besorgnis. »Gott helfe uns…« sagte er leise und wich von Harry zurück.
    »Was ist denn los?«
    »Wissen Sie, wie man betet?« fragte Valentin ihn, während er die Dreiundachtzigste Straße entlang zurückwich. Die Musik wurde mit jedem Akkord lauter.
    »Ich habe seit zwanzig Jahren nicht mehr gebetet«, antwortete Harry.
    »Dann lernen Sie es«, lautete die Antwort, und damit drehte sich Valentin herum und rannte los.
    Im selben Augenblick wallte Dunkelheit von Norden die Straße entlang und verhüllte die leuchtenden Barschilder und Lampen. Neonreklamen flackerten plötzlich und erloschen, aus Fenstern weiter oben wurden ärgerliche Rufe laut, weil das Licht ausging, und die Musik nahm einen neuen und hektischeren Rhythmus an, als wäre sie von den Flüchen ermutigt worden. Harry hörte ein Heulen über sich, sah auf und erblickte eine zerfranste Silhouette vor den Wolken, die Ranken mit sich schleifte wie ein Kriegsschiff, während sie sich auf die Straße heruntersenkte, den Gestank nach verfaultem Fisch im Kiel-wasser. Ihr Ziel war eindeutig Valentin. Harry versuchte, das Heulen und die Musik und die Panik des Stromausfalls zu übertönen, aber kaum hatte er nach ihm gerufen, da hörte er Valentin schon in der Dunkelheit aufschreien; ein flehentlicher Schrei, der grob unterbrochen wurde.
    Er stand in der Dunkelheit, und seine Füße weigerten sich, ihn einen Schritt zu der Stelle zu tragen, von der das Flehen gekommen war. Der Gestank hing ihm immer noch in der Nase, es wurde ihm erneut übel. Dann gingen die Lichter

wieder an; wie eine sich zurückziehende Brandung schoß der Strom die Straße entlang und zündete die Lampen und die Barschilder an. Bis zu Harry, und dann weiter zu der Stelle, wo er Valentin zuletzt gesehen hatte. Sie war verlassen; tatsächlich war der Gehweg bis zur

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