Das 9. Urteil
auf die Klingel gelegt hatte. Der Stress zeichnete sich deutlich sichtbar auf seinem Gesicht ab. Er hatte dicke Ringe unter den Augen und wirkte beinahe noch älter als damals, als wir uns in der Larkin Street ein paar Kugeln eingefangen hatten.
»Es ist im Schlafzimmer passiert«, teilte er mir und meinem Partner mit. »Im ersten Stock. Wenn ihr euch den Tatort angeschaut habt, kommt ihr wieder runter. Ich bin mit Dowling in der Bibliothek.«
Das gemeinsame Schlafzimmer von Marcus und Casey Dowling sah aus wie aus einem Neiman-Marcus-Katalog.
Das Bett in der Mitte der östlichen Wand war so groß wie Santa Catalina und besaß ein mit Knöpfen verziertes Kopfbrett aus bronzefarbener Seide, seidene Tageskissen sowie zerknitterte, bronze- und goldfarbene Seidenbettwäsche. Im ganzen Zimmer waren mehr Quasten und Troddeln zu sehen als in einem Stripteaseklub.
Ein zierliches Wandtischchen lag umgekippt auf dem Boden, umringt von allerhand zerbrochenem Krimskrams. Taftvorhänge bauschten sich vor dem offenen Fenster, doch der Pulvergeruch hing immer noch kaum wahrnehmbar in der Luft.
Charlie Clapper, der Leiter unserer kriminaltechnischen Abteilung, war gerade dabei, Fotos von Casey Dowlings Leiche zu machen. Er winkte uns zur Begrüßung kurz zu und sagte: »Verdammt schade, wirklich … so eine schöne Frau.« Er trat einen Schritt zurück, damit wir sie anschauen konnten.
Casey Dowling lag nackt auf dem Rücken, das platinblonde Haar wie ein Fächer auf dem Boden ausgebreitet. Ihre Handflächen waren blutig. Vielleicht hatte sie sie auf die Wunde in ihrer Brust gelegt, bevor sie zusammengebrochen war.
»Ihr Mann sagt, er sei im Erdgeschoss gewesen, um Geschirr abzuwaschen. Dann hat er zwei Schüsse gehört«, meinte Clapper. »Als er ins Schlafzimmer gekommen ist, hat seine Frau da auf dem Boden gelegen. Das Tischchen mit dem Kleinkram war umgekippt, und das Fenster stand offen.«
»Ist irgendetwas weggekommen?«, wollte Conklin wissen.
»Schmuck aus dem Safe im Wandschrank. Dowling sagt, dass der Inhalt für etliche Millionen versichert war.«
Clapper trat ans Fenster und schob den Vorhang beiseite, sodass das Loch im Fensterglas zu sehen war.
»Der Eindringling hat einen Glasschneider benutzt und das Fenster entriegelt. Die Schubladen hat er allem Anschein nach nicht angerührt. Der Safe ist auch nicht gesprengt worden, also hat er entweder die Kombination gekannt oder, was wahrscheinlicher ist, der Safe war schon offen. Die Kugeln stecken noch in der Leiche. Keine Patronenhülsen. Der Einbruch ist sehr glatt gelaufen, so lange, bis er auf dem Weg nach draußen das Tischchen umgestoßen hat. Wir haben ja gerade erst angefangen. Vielleicht haben wir Glück und finden noch ein paar Fingerabdrücke oder andere Spuren.«
Clapper ist Profi und seit fünfundzwanzig Jahren im Polizeidienst. Er war lange bei der Mordkommission, bevor er zur Spurensicherung gewechselt hat. Er besitzt einen scharfen Verstand und ist eine wirkliche Hilfe, ohne uns dabei im Weg rumzustehen.
Ich sagte: »Dann haben wir’s also mit einem Einbruchsdiebstahl zu tun, der aus dem Ruder gelaufen ist?«
Clapper zuckte mit den Schultern. »Wie alle professionellen Fassadenkletterer war auch der hier bestens organisiert, bis ins kleinste Detail. Vielleicht hatte er für Notfälle eine Waffe dabei, aber normalerweise schießen diese Typen nicht.«
»Wie könnte sich das Ganze wohl abgespielt haben?«, fragte ich mich laut. »Der Ehemann war nicht im Zimmer. Das Opfer war nicht bewaffnet – es war ja nicht einmal angezogen . Wieso sollte ein Einbrecher auf eine nackte Frau schießen?«
12
Conklin und ich gingen die geschwungene Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Ich fand die Bibliothek, indem ich der vertrauten, wohlklingenden Stimme Marcus Dowlings und ihrem englischen Akzent folgte.
Ich kannte alle seine älteren Filme, die, in denen er ein Spion oder ein romantischer Held gewesen war, und auch ein paar seiner neueren, wo er den Bösen gemimt hatte. Jedes Mal hatte er mir gefallen.
Als ich durch die offene Tür der Bibliothek trat, stand Dowling barfuß, mit einer blauen Hose und einem weißen, offenen Hemd bekleidet, vor mir. Ich war ein kleines bisschen beeindruckt, das muss ich zugeben. Marcus Dowling, der Mann, der gleich hinter Sean Connery kam. Als Conklin und ich eintraten, sprach er mit Jacobi gerade über den sinnlosen Mord an seiner Frau.
Jacobi stellte uns vor und teilte Dowling mit, dass wir drei die Ermittlungen gemeinsam
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