Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das 9. Urteil

Das 9. Urteil

Titel: Das 9. Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Patterson
Vom Netzwerk:
anderes.
    Der Mörder meldete sich wieder. Er sagte, ich sollte umkehren und zurück zum Presidio Boulevard fahren, dann weiter auf die Richardson, und schließlich landete ich auf der Auffahrt zur Golden Gate Bridge.
    Würden wir die Stadt verlassen?
    Als ich wieder zu mir kam, als mir klar wurde, dass meine Kollegen verzweifelt auf der Suche nach mir waren, löste mein Ärger sich langsam in Luft auf. Wie sollten sie mich in einem alten, grünen Impala bloß finden?
    Der Lippenstift-Killer machte jetzt keine Scherze mehr und blieb sachlich, während ich mich in den Verkehrsstrom einreihte, der mit großer Geschwindigkeit über die Brücke floss. Die Nadel der Tankanzeige schwebte über dem roten Bereich.
    »Wir müssen tanken«, sagte ich.
    »Nein«, erwiderte der Killer. »In einer Minute ungefähr sind wir in der Mitte der Brücke. Ich sag dir Bescheid, wenn du anhalten sollst.«
    »Anhalten? Aber auf der Brücke darf man nicht anhalten.«
    »Wenn ich es sage, schon«, erwiderte er.

65
    Der Killer zählte rückwärts von zehn bis eins, und mir liefen die Schweißtropfen in die Augen.
    »Fahr rechts ran«, sagte er.
    Ich hatte, seit ich auf der Brücke war, den Blinker eingeschaltet, aber die, denen das auffiel, würden es für ein Versehen halten.
    »Rechts ran!«, wiederholte er. Es gab eigentlich keine Möglichkeit anzuhalten, also verlangsamte ich die Fahrt und hielt dann so dicht wie möglich neben dem Handlauf an, der den schmalen Fußweg von der Fahrbahn trennte.
    Ich schaltete die Warnblinkanlage ein, hörte das dumpfe Klicken und malte mir einen grässlichen Auffahrunfall aus, der die Insassen des auffahrenden Wagens das Leben kostete und mich hinter dem Lenkrad einklemmte. Meine Überlebenschancen waren soeben drastisch gesunken, standen jetzt nicht mehr fünfzig zu fünfzig, sondern zehn zu neunzig. Warum musste ich ausgerechnet heute sterben?
    »Nimm den Koffer vom Rücksitz, Lindsay«, sagte der Killer.
    Ich schnallte mich ab, griff nach hinten und zerrte den großen, unhandlichen Koffer nach vorn.
    »Gut. Jetzt steigst du aus.«
    Auf der Fahrerseite wäre das glatter Selbstmord gewesen. Autos zischten an mir vorbei, manche der Fahrer hupten, andere brüllten mir im Vorbeirasen etwas zu. Ich hantierte mit dem Gewehrkasten so lange am Türgriff auf der Beifahrerseite herum, bis ich sie entriegelt hatte und aufstoßen konnte.
    Ich war zwar so gut wie nackt, sicher, aber trotzdem konnte ich es kaum erwarten, endlich diesem Auto zu entkommen. Ich stieß mir den Koffer gegen die Schienbeine und kletterte über den Handlauf, dann endlich stand ich auf dem Fußweg. Immer noch schlingerten andere Autos hupend um den Impala herum. Irgendjemand brüllte: »Spring! Spring!«, und dann wurde noch mehr gehupt.
    »Die Brücke ist ziemlich gut gesichert«, sagte ich zu dem Killer. »Es wird nicht lange dauern, bis die Polizei da ist.«
    »Halt die Klappe«, sagte er. »Geh zum Geländer.«
    Mir wurde schwindelig, als ich auf das glitzernde Wasser hinuntersah. Er würde mich zwingen zu springen. Ungefähr eintausenddreihundert Menschen waren schon von dieser Brücke in den Tod gesprungen. Nur gut zwanzig von ihnen hatten überlebt. Das Ende war nahe, im buchstäblichen Sinn ebenso wie im übertragenen. Meine Geisterfahrt war zu Ende, und ich würde sterben, würde niemals erfahren, ob ich irgendjemandem das Leben gerettet hatte … oder ob der Killer das Geld einsacken und einfach weitermorden würde.
    Und wie wollte er es überhaupt bekommen?
    Ich starrte hinunter auf Fort Point direkt unterhalb des südlichen Brückenendes und ließ den Blick über die Rasenflächen des Crissy Field gleiten. Wo war der Killer? Wo war er? Und dann entdeckte ich vor Fort Baker, zu Füßen des Nordpfeilers, am jenseitigen Ufer der Bucht, ein kleines Motorboot.
    »Die Stunde des Abschieds ist gekommen, Lindsay«, sagte die Stimme in meinem Ohr. »Jetzt wirfst du das Telefon über das Geländer und dann den Koffer. Weiter so, Prinzessin. Alles wird gut, wenn du nicht jetzt noch Mist baust.«
    Der Wind blies mir die Haare ins Gesicht, als ich das Telefon fallen ließ und anschließend den Gewehrkoffer über das Geländer warf. Ich sah ihm nach, wie er achtzig Meter tief in die Bucht stürzte.

66
    Der Gewehrkoffer traf auf das Wasser, ließ Gischtfontänen aufspritzen, ging unter und kam wieder an die Wasseroberfläche. Soweit ich sehen konnte, saß ein einzelner Mann in dem Motorboot, das direkt darauf zusteuerte.
    Da erwachte ich aus

Weitere Kostenlose Bücher