Das 9. Urteil
Weißer mit ergrauendem Haar. Bradys Augen strahlten, und auf seinem Gesicht war ein neuer Ausdruck zu erkennen, der mich hoffen ließ.
Er lächelte.
Sturmwolken teilten sich, und ein göttlicher Lichtstrahl brach durch die Betondecke, als Brady sagte: »Das ist Mr. Kennedy. Er sagt, er hat ihn gesehen.«
88
Sechs Polizeibeamte umringten Daniel Kennedy. Wir standen so dicht bei ihm, dass wir ihm fast die Luft zum Atmen nahmen, aber er schien diese Form der Aufmerksamkeit zu genießen. Kennedy sagte, er sei fasziniert von Verbrechen aller Art und habe alles über den Lippenstift-Killer gelesen. Er sei der Besitzer des U-Tel, eines Telefonladens im Pier 39, und dann fing er an zu erzählen.
»Da kam ein Weißer Anfang dreißig zu mir in den Laden«, sagte Kennedy, »der ist mir von Anfang an komisch vorgekommen.«
»Wieso denn das?«, wollte ich wissen.
»Er geht rüber zum Regal mit den Prepaid-Handys und sucht sich eins mit einer Kamera und einem Zwei-Gigabyte-Chip aus. Die billigen Prepaid-Telefone gehen weg wie warme Semmeln, aber die teuren? Wer ein teures Handy will, nimmt in der Regel eins mit einem festen Vertrag. Jedenfalls weiß dieser Typ ganz genau, was er will. Und er hält die ganze Zeit den Kopf unten, schaut mich nicht mal beim Bezahlen an.«
»Hatte er eine Mütze auf?«
»Ja, eine Baseballmütze, blau, ohne Aufdruck, aber eine andere Jacke als auf der Phantomzeichnung, die ich im Fernsehen gesehen habe. Die war aus braunem Leder und ziemlich zerschlissen, mit einer US -Flagge auf dem rechten Ärmel.«
»Fliegerjacke«, sagte Conklin. »Welche Haarfarbe hatte der Mann?«
»Braun, soweit ich das erkennen konnte. Er kauft also das GoPhone und verschwindet, und ich habe meinem Geschäftsführer gesagt, er soll kurz für mich übernehmen.«
»Sie haben den Mann verfolgt?«, erkundigte sich Brady.
»Na klar. Ich habe immer ein paar Meter Abstand gehalten, damit er mich nicht bemerkt, und dann hat er eine hübsche Afroamerikanerin mit zwei Kindern in einem Doppel-Buggy angesprochen. Nach den Handbewegungen zu urteilen, hat er sie gefragt, ob er ihr mit ihren ganzen Einkaufstaschen behilflich sein kann.
Aber dann, verdammt noch mal, hat mein Geschäftsführer angerufen, weil ich einen großen Scheck gegenzeichnen sollte. Ich bin schnell zurückgelaufen, aber als ich wieder da war, war der Mann weg. Es war auch sehr voll, verstehen Sie? Ich bin also wieder in meinen Laden, und dann höre ich die Sirenen auf der Straße. Ich schalte den Polizeifunk ein und höre, dass es eine Schießerei gegeben hat.«
»Könnten Sie den Mann auf einem Foto identifizieren?«, wollte ich wissen.
»Ich kann noch viel mehr. Jede Bewegung dieses Kerls in und vor meinem Laden ist mit hochauflösenden, digitalen Kameras aufgezeichnet worden. Ich kann Ihnen gleich eine CD davon brennen.«
»Hat er Handschuhe getragen?«
»Nein«, sagte Kennedy. »Nein, hat er nicht.«
»Wie hat er das Handy bezahlt?«, wollte Conklin wissen.
»In bar«, erwiderte Kennedy. »Ich habe ihm Wechselgeld gegeben.«
»Werfen wir mal einen Blick in Ihre Kasse«, sagte ich.
89
Zu schlaftrunkener Stunde, noch vor Beginn der Dämmerung, klingelte mein Handy. Ungeschickt tastete ich danach und nahm es mit ins Wohnzimmer, damit Joe weiterschlafen konnte. Der Anrufer war Jackson Brady. Neben der Müdigkeit in seiner Stimme nahm ich auch seine Aufregung wahr, als er mir erzählte, dass er die ganze Nacht im Labor verbracht und den Kriminaltechnikern dabei zugeschaut hatte, wie sie jeden einzelnen Schein aus der Geldschublade des U-Tel auf Fingerabdrücke untersucht hatten.
»Und, haben sie etwas gefunden?«, drängelte ich und gestattete mir einen kleinen Hoffnungsschimmer.
»Nur ein paar unvollständige Abdrücke, die zu einem ehemaligen Elite-Soldaten passen.«
» Gibt’s doch nicht. Genau das war doch Ihr Verdacht.«
»Captain Pete Gordon. Hat im Irak gedient. Zweimal hin und zurück.«
Ich stand in meinem blauen Flanellpyjama am Fenster und schaute auf die stille Schönheit der Lake Street hinab, während Brady mir von diesem ehemaligen Marine-Offizier erzählte, der nach seiner Entlassung von der Bildfläche verschwunden war. Seine Personalakte wies keine Besonderheiten auf, keine psychischen Störungen oder Klinikaufenthalte im Anschluss an seine Dienstzeit … aber auch keine Jubelparaden.
»Nach seiner Entlassung ist Gordon nach Walkhill, New York, zurückgekehrt, zu seiner Frau und der kleinen Tochter«, fuhr Brady fort. »Aber
Weitere Kostenlose Bücher