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Das abartige Artefakt

Das abartige Artefakt

Titel: Das abartige Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Aster
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den Allerhöchsten. Beneidete ihn sogar. Was für ein Leben das sein musste! Voller Prophezeiungen, Götter und Schicksalszwerge. Als Höchster unter den Hohen kannte man gewiss keine Langeweile, und abgesehen davon musste man als Prophezeier alles zu Prophezeienden bestimmt auch keine alberne weiße Spitzkappe tragen…
    Der Gefallen, um den ihn der Hohepriester bat, erforderte Verschwiegenheit, Schlüsselgewalt über das Totentor und Vorsicht. Es ging um das Treffen einer verschworenen Gemeinschaft, das heute nach der letzten Schicht stattfinden sollte und von dem niemand erfahren durfte. Nicht einmal der Große Verwalter. So viel hatte der Hohepriester angedeutet.
    Und das war ein Gefallen ganz nach Funkensprungks Geschmack.
    Er würde sie einlassen und Wache stehen, und das alles für das Wohl des Ehernen Volkes, für zwei Brocken Gold und gegen die Langeweile.
    Und so wartete er nun am Totentor darauf, dass jenes überaus geheime Treffen begann und seine Taschen sich füllten.
     
     
    Keine einhundert Schläge nach Ende der letzten Schicht erschien in dem nur spärlich beleuchteten Gang vor ihm der Gläubigste unter den Gläubigen, auf einen knorrigen Stab gestützt.
    Funkensprungk vermochte ihn selbst unter seinem schlichten Grubenumhang zu erkennen, den er augenscheinlich angelegt hatte, damit niemand ihn erkannte. Der grobe braune Stoff bot den Schürfbrüdern für gewöhnlich Schutz, wenn sie in den Gängen arbeiteten. Die meisten Grubenumhänge hatten außerdem einen integrierten Bartschutz gegen den Staub. In diesem Fall ging es aber wohl eher darum, das Gesicht des Hohepriesters zu verdecken.
    Der Allerhöchste war in Begleitung seines zweibeinigen Gedächtnisses, und während die beiden im kargen Licht der Käfer näher wankten, blieben sie immer wieder kurz stehen und schauten sich um, beinahe als fürchteten sie, verfolgt zu werden.
    Im Licht der wenigen Fackeln kam der Hohepriester schwer atmend näher, hob, kaum dass er bei Funkensprungk angelangt war, seine Kapuze und raunte ihm verschwörerisch zu: „Bist du bereit, uns zu öffnen und zu schweigen, Totensenker?“
    „Gewiss, Herr“, erwiderte Funkensprungk. „Und seid Euch sicher, für den Lohn, den Ihr mir versprochen habt, würde ich noch weit mehr öffnen und verschweigen.“
    „Gut, Funkensprungk. Wisse, dass diese Stunde und deine Rolle darin bedeutsam sind. Heute nämlich werden die Götter in das Feuerloch einkehren, um dem Schicksalszwerg ihren Willen kundzutun!“
    Funkensprungk frohlockte innerlich. Das klang großartig. Und je wunderlicher und verwegener all das werden würde, desto besser wäre es, um seine Langeweile zu bekämpfen. Seit beinahe vierhundertdreißig Jahren bestand sein Leben aus kaum mehr als Feuer, toten Zwergen und vereinzelten Besuchen eines seltsamen Antiquitätenhändlers. Aber selbst dieses dunkle Geheimnis vermochte den ewig gleichen Kreislauf aus Flammen und Tod nicht auf Dauer zu durchbrechen.
    Es war eine zähe und schwierige Angelegenheit, der Langeweile die Stirn zu bieten. Heute aber würde er sie ein weiteres Mal niederzwingen, die triste, die öde, die lähmende Langeweile.
    Ghlimm Funkensprungk dankte den wirren Gängen des Schicksals, denn sie hatten den Allerpriesterlichsten zu ihm geführt, der im Flammenschein des Feuerlochs die Langeweile des ersten Totensenkers lindern würde. Er war neugierig und fragte sich, was wohl folgen würde. Ehrerbietig senkte er den Bart vor dem Höchsten, der ihm zufrieden die Hand auf die Schulter legte.
    „Dann lass uns hineingehen, Totensenker“, sagte er. „Wir sollten nicht mehr Aufsehen erregen als unbedingt nötig. Das ganze Unterfangen ist ohnehin schon ein Wagnis, und jeder weitere Bart, der in das Geschehen verflochten wird, wird es uns erschweren, unerkannt zu bleiben. Hinein, hinein, bevor Augen und Ohren erwachen.“
    Sie verschwanden im Inneren des Feuerlochs, ließen das Totentor jedoch unverschlossen, und das Gedächtnis des Hohepriesters blieb davor zurück, um die anderen in Empfang zu nehmen, die noch kommen würden.
     
     
    Der Hohepriester folgte dem Totensenker ins Feuerloch. Auf dem Boden des Plateaus erkannte er die Zeichen der einzelnen Stämme: Fels, Erde und Stahl. Die übrigen, selbst das Zeichen des Feuers, waren aus dem Stein herausgemeißelt worden.
    Kopfschüttelnd schloss er die Augen. Die Hälfte ihres Volkes war inzwischen geächtet und entzwergt worden – ein Volk, das von sich selbst getrennt war. All das musste ein Ende

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