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 Das Abkommen

Das Abkommen

Titel: Das Abkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kyle Mills
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heraus konzentrierte. Sie saß die ganze Zeit reglos am Tisch und starrte vor sich hin, als könnte sie schon die rauchfreie Utopie sehen, in die die nächste Generation von Amerikanern hineingeboren werden würde. Aber vielleicht war sie ja auch nicht bei der Sache.
    Und damit (mit ihr) wären wir bei dem Grund, warum ich bei Smokeless Youth geblieben war, obwohl klar war, dass mir das nicht die Illusion der Absolution vermittelte, die ich angestrebt hatte. O’Byrnes Assistentin, Anne Kimball.
    Mit ihren einunddreißig Jahren war sie ein Jahr jünger als ich, und im Gegensatz zu mir hatte sie in ihrem Leben schon einiges zustande gebracht. Ihr Studium an der University of Pennsylvania hatte sie mit Auszeichnung abgeschlossen, danach hatte sie mit einem Stipendium Jura an der Georgetown University studiert. Nach ihrem Abschluss hatte sie bei einer großen Anwaltskanzlei in Washington, D.C. zu arbeiten begonnen und war allem Vernehmen nach für Großes bestimmt gewesen. Die vielversprechende Karriere hatte jedoch ein abruptes Ende gefunden, als Anne aus heiterem Himmel gekündigt und für schätzungsweise 80 Prozent weniger Gehalt bei Smokeless Youth angefangen hatte. Ihre Kollegen hatten pikiert den Kopf geschüttelt, Worte wie »Burnout« und »Nervenzusammenbruch« gebraucht und sich anschließend wie unkastrierte Kater um ihr Büro geprügelt.
    Sie hatten allerdings nicht gewusst, dass Annes Mutter vor zehn Jahren qualvoll (das war am beliebtesten) an Lungenkrebs gestorben war, nachdem sie fast ihr ganzes Leben lang jeden Tag eineinhalb Packungen Zigaretten geraucht hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte Anne ihr zu Gedenken alles hingeworfen, um für O’Byrne zu arbeiten.
    »Es wird, Trevor, es wird. Endlich wendet sich das Blatt zu unseren Gunsten.«
    Ich nickte automatisch und fuhr fort, Anne anzusehen, während O’Byrne weitersprach. Und weiter und weiter.
    Ich schätzte, dass sie fast dreißig Zentimeter kleiner war als ich, obwohl sie mich nie so nah an sich heranließ, dass ich meine Vermutung überprüfen konnte. Ihr Gesicht war ungewöhnlich rund, was einen sonderbaren Gegensatz zu ihrer geraden Nase und den zwei überirdisch grünen Augen bildete. Ihre langen Haare hatten einen wenig beeindruckenden Braunton und waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der nicht zu ihrer Kleidung passen wollte, bei der sie zu Sackartigkeit und maoistischen Grautönen tendierte. Trotz dieser wenig schmeichelhaften Beschreibung war sie die aufregendste Frau der Welt. Zumindest für mich.
    »Wir haben sie, Trevor! Das ist unser großer Moment!« O’Byrne beugte sich vor und packte meine Unterarme, sodass ich gezwungen war, meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn zu richten.
    »Der Prozess in Montana, der neue Bericht der Gesundheitsbehörde … Die Tabakbranche ist so schwach wie seit hundert Jahren nicht mehr. Es ist so weit.«
    »Für was, John?«
    »Um sie zu treffen. Schwer zu treffen.«
    Ich zog die Augenbrauen hoch, damit er mir noch etwas mehr darüber verriet, wie er der Tabakindustrie den Todessstoß versetzen wollte.
    »Im Bericht der Gesundheitsbehörde steht, dass fünf Millionen Teenager rauchen. Fünf Millionen! Das ist eine gewaltige Zahl mit einer enormen Wirkung, Trevor. Es ist eine Zahl, die die Leute wachrütteln wird – vor allem jetzt, wo noch so viel anderes passiert.«
    Ich kaute einen Moment auf dem Nagel meines Zeigefingers herum. »John, genau genommen steht im Bericht, dass fünf Millionen Teenager im letzten Monat eine Zigarette geraucht haben. Das macht sie nicht unbedingt zu Rauchern …«
    »Na und? Wollen Sie damit etwa sagen, dass die Tabakindustrie noch nie übertrieben oder nur die halbe Wahrheit gesagt hat, um ihren Standpunkt deutlich zu machen? Wir werden ihnen zeigen, dass wir den Mumm haben, das gleiche Spiel zu spielen.«
    Ich sah flüchtig zu Anne, die die Augen verdrehte. Als sie meinen Blick auf sich spürte, schlug sie schnell die Augen nieder und setzte einen Gesichtsausdruck auf, der wohl eiserne Entschlossenheit signalisieren sollte.
    Sie gehörte zu den seltenen Menschen, die wirklich an das glaubten, wofür sie kämpften. Ich war mir absolut sicher, dass sie, als sie bei Smokeless Youth angefangen hatte, tatsächlich der Meinung gewesen war, sie könnte ihre grenzenlose Intelligenz, Kreativität und Energie nutzen, um die Branche, die ihre Mutter umgebracht hatte, in die Knie zu zwingen. Ich fragte mich, wann sie wohl bemerkt hatte, dass die Realität anders war.

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