Das Achtsamkeits Buch
sich selbst zu blicken, speziell auf das, was man auch im Zusammenhang mit der Krankheit an sich ablehnt. Fokussierung auf Liebende Güte kann auch den Behandelnden und Angehörigen helfen, tiefen inneren Frieden zu finden (vgl. Harrer, 2009a).
Eine Krankheit wie Krebs führt oft dazu, das Leben zu überdenken und Prioritäten neu zu setzen. Achtsame Selbstwahrnehmung kann bei der Suche nach Neuorientierung, nach einer Richtung für das neue Leben zu einem Kompass werden: wenn es gelingt, dem inneren Gefühl mehr zu vertrauen als den vielen wohl meinenden Ratschlägen. Man kann Verschiedenes ausprobieren, um dann selbst genau nachzuspüren, was einem guttut oder nicht. Achtsamkeit führt dazu, in Kontakt mit sich und den eigenen Bedürfnissen zu sein und sich selbst wichtiger zu nehmen.
Achtsamkeit in engen Beziehungen
Die eigene Präsenz ist das größte Geschenk, das ein Mensch einem anderen machen kann, meint Thich Nhat Hanh. Wenn sich diese Präsenz mit einem offenen, akzeptierenden Interesse verbindet, ist ein Fundament für eine glückliche Beziehung gelegt, die Raum für individuelle und gemeinsame Entwicklungen schafft. Wenn dann der innere Beobachter auch in Konfliktsituationen wach bleibt, kann der Standpunkt des Anderen nachvollzogen und eingefühlt werden, die Identifikation mit der eigenen Position wird vermieden. Gleichzeitig ist eine differenzierte Selbstwahrnehmung möglich, die neben dem Mitgefühl für den Anderen auch das für sich selbst vertieft.
Sich in Beziehungen um Achtsamkeit zu bemühen, kann ein Schlüsselfaktor für eine zufriedenere Partnerbeziehung sein (Burpee & Langer, 2005). Einige ihrer Komponenten machen die gute Wirkung verständlich:
Klarblick: die unvoreingenommene, offene und nichts aussparende Wahrnehmung des Anderen ermöglicht, ihn immer mehr so zu sehen, wie er wirklich ist. Durch dieses »Ich sehe dich« wachsen Liebe, Mitgefühl und Mitfreude. Als der, der »gesehen« wird, bietet diese Art der Wahrnehmung einen optimalen Entwicklungs-Raum. Den Anderen immer wieder erneutin der Haltung des »Anfängergeistes« zu betrachten, ist gerade in langjährigen Beziehungen eine Herausforderung. So kann es hilfreich sein, zu beobachten, wie sich durch automatisierte gegenseitige Erwartungen einengende Muster einschleifen und wie Partner einander in belastende Bewusstseinszustände versetzen. Aus solchen Verwicklungen aufzuwachen und damit wieder ein Stück Klarblick zu gewinnen, kann schwierige Beziehungssituationen auflösen (Weiss, 2007).
Gleichmut und Gelassenheit können gerade in schwierigen Zeiten der Beziehung und bei Meinungsverschiedenheiten die Eskalation eines Streits verhindern. Sie verhindern auch, einander unnötig zu verletzen und unnötig Leid zuzufügen. So wie Wut ansteckend sein kann, wirkt sich auch Gelassenheit auf einen Gesprächs- und Konfliktpartner aus.
Dies verdeutlicht ein Beispiel aus der Versuchsreihe mit Matthieu Ricard in dem der Mönch mit zwei Wissenschaftern über ein kontroverses Thema diskutierte (Goleman, 2003, S. 47). Als Gesprächspartner wurden einer der »liebenswürdigsten Professoren« aus dem Bekanntenkreis des Versuchsleiters und ein Professor mit einem aggressiven, auf Konfrontation zielenden Diskussionsstil ausgewählt. Während der Gespräche wurden bei allen drei Personen physiologische Werte gemessen und der Gesichtsausdruck auf Video aufgenommen. Die Physiologie von Matthieu Ricard blieb im Austausch mit beiden Partnern nahezu unverändert. Der Gesichtsausdruck war dagegen verschieden, beim liebenswürdigen Professor lächelte der Buddhist häufiger und simultaner als beim »schwierigen« Menschen. Während der gelassene Professor seine kontroversen Ansichten mit dem Mönch diskutierte, lächelten beide, hielten Blickkontakt und sprachen fließend.
Das war beim anderen Diskussionspartner nicht der Fall. Dessen Physiologie verriet von Anfang an eine hochgradige emotionale Erregung. Diese Erregung ließ jedoch im Laufe desviertelstündigen Disputs mit dem Mönch nach, indem dieser offensichtlich beruhigend auf ihn wirkte. Am Schluss meinte der sonst streitsüchtige Sparring-Partner spontan: »Ich konnte nicht auf Konfrontation gehen. Stets wurde mir lächelnd und mit Vernunft geantwortet; dem konnte ich mich nicht entziehen. Ich spürte so etwas wie einen Schatten oder eine Aura – und konnte nicht aggressiv sein.«
In die gleiche Richtung weist auch eine Untersuchung an Personen, die wegen Aggressionsausbrüchen
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