Das Aion - Kinder der Sonne
Wissenschaftler anstarrte und erstaunt die Fähigkeiten seines Schwebestuhls beobachtete.
Dr. Gayot besaß keinen menschlichen Unterkörper. Sein dicker Wanst ging in eine voluminöse Metallhalbkugel über, die einen halben Meter über dem Boden schwebte. Der Doktor nannte sie einen Leviator. An seiner Vorder- und Unterseite war der mechanische Unterleib mit dünnen Metallgliedmaßen ausgestattet, die unablässig herumfuhrwerkten wie die Beine einer geschäftigen Spinne. Zwei von ihnen besaßen Greifzangen. Andere endeten in eigenartigen Kugeln, die Lichtstrahlen aussandten, oder gingen in dünne Stifte über. Sechs dieser künstlichen Gliedmaßen wuchsen aus Dr. Gayots Taille, die wie ein breiter Metallgürtel geformt war. Vier weitere, wesentlich massivere, hingen angewinkelt und scheinbar nutzlos an der Unterseite des Leviators. Insgeheim fragte sich Mira, ob dem Wissenschaftler vor langer Zeit womöglich das Gleiche widerfahren sein mochte wie einst Jumper …
Dr. Gayots menschliche obere Hälfte war in einen kurzen, sandfarbenen Mantel gekleidet, der knapp über der künstlichen Taille endete. Darunter trug er ein fast bis zum Platzen gespanntes Hemd, dessen Kragen zumeist unter einem Doppelkinn verborgen war. Mira schätzte das Alter des Doktors auf Anfang bis Mitte fünfzig. Seine im Licht der Deckenlampen glänzende Glatze wurde von einem bunten Stirnband umrahmt. Die fleischigen Lippen und die runden, leicht hervortretenden Augen verliehen ihm etwas Fischartiges. Die wenigen Haare, die ihm noch geblieben waren, hatte der Wissenschaftler zu einem dünnen, seitlichen Pferdeschwanz gebunden, der von einem silbernen Ring zusammengehalten wurde.
»Ja, das ist zweifellos die Nachbildung eines Centruroides«, bestätigte Dr. Gayot. Er drehte beeindruckt die Überreste des künstlichen Skorpions, den Ben im Dorf in Einzelteile zerlegt hatte, in seinen Händen. »Woher stammt dieses außergewöhnliche Stück?«
»Ich hatte gehofft, dass Sie uns darauf eine Antwort geben könnten.« Ben leerte den gesamten Inhalt seines Rucksacks auf dem Tisch aus. Mechanische Echsen, Schlangen und eine kleine Schildkröte purzelten scheppernd übereinander.
»Du lieber Himmel«, entfuhr es dem Doktor. »Sind das ausnahmslos Replikate?« Er griff sich alle Modelle auf einmal. »Coleonyx … Tiliqa nigrolutea … Scincus scincus …«, sprach er aufgeregt und provozierte Mira damit zu einem verhaltenen Lachen.
Der Wissenschaftler bedachte das Mädchen mit einem tadelnden Blick, woraufhin Mira rasch aus einem der Fenster schaute, die das Labor wie ein gläserner Gürtel umgaben.
Als Dr. Gayot die Echsen in Augenschein nahm, begann er schließlich mit Fachausdrücken wie »Eozän« und »Paleozän« um sich zu werfen. Ben erklärte Mira, dass es sich dabei um Erdzeitalter handelte, die fünfzig Millionen Jahre in die Vergangenheit zurückreichten.
Als das Gespräch so wissenschaftlich wurde, dass Mira nicht mehr folgen konnte, begann sie die Fensterfront entlangzustreifen. Lange blickte sie hinab auf die Wüste und fragte sich dabei, ob sich den Ambodrusen wohl ein ähnliches Panorama bieten mochte wie ihr von hier oben. Die Sonne war mittlerweile hinter den Horizont gesunken und ließ feine Schleierwolken im Abendrot glühen. Der Park, der das Institut umgab, wurde nun von Laternen erhellt. Jeder Baum, so schien es, besaß eine eigene Laterne, in deren Licht zahllose Falter und Mücken herumschwirrten.
Dr. Gayot tauchte plötzlich neben Mira auf und sah ebenfalls nach draußen. »Gefällt es dir?«, wollte er wissen.
Mira nickte. »Sind die Bäume echt?«
»Nein, natürlich nicht. Die Sonne würde sie innerhalb weniger Wochen verbrennen. Die echten findest du nur im Wald. Weißt du, was ein Wald ist?«
»Ja.«
»Warst du schon mal in einem?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Selbstverständlich nicht …« Dr. Gayot nickte wie zur Bestätigung. »Wir haben hier einen Wald. Er ist nicht besonders groß, aber zumindest groß genug, dass du dich darin verirren könntest.«
Mira schaute sich irritiert um, doch in welche Richtung sie auch blickte, sie entdeckte nur Wüste, Felsen und die schmale Zufahrtsstraße, über die sie mit dem Buggy hergelangt waren.
»Glaubst du mir nicht?«, erkundigte sich Dr. Gayot in einem Tonfall, der Geheimnisvolles vermuten ließ.
Mira zuckte die Schultern. »Ich sehe keinen Wald.«
»Natürlich nicht, junge Dame. Aber du stehst direkt über ihm.«
Das Mädchen warf einen Blick auf den
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