Das Aion - Kinder der Sonne
sein Kind. Sein Schicksal und deines sind untrennbar miteinander verknüpft.«
»Nein!« Das Mädchen sprang auf, die Hände in hilfloser Wut zu Fäusten geballt. »Verdammte Scheiße, nein! Nein, nein, nein!« Bei jedem Wort stampfte sie mit dem Fuß auf, dann lief sie den Dünenkamm entlang davon. Eine der künstlichen Echsen, die ihr dabei im Weg saß und trotz ihres Näherkommens keine Regung zeigte, kickte Mira kurzerhand den Abhang hinunter.
Azur seufzte, dann folgte er ihr langsam über den Grat.
Miras Wut war schnell wieder verraucht; so schnell, dass sie sich fast schon wieder darüber ärgerte, nicht mehr wütend zu sein. Ein Wirbelsturm aus Gedanken und Gefühlen tobte in ihrem Kopf. Sie ließ sich in den Sand sinken und versuchte, irgendwie Ordnung in das Gedankenchaos zu bekommen. Doch sosehr sie sich auch bemühte, das Ergebnis war immer dasselbe: Sie war umgeben von Mauern, die immer höher emporwuchsen, bis sie in ihnen gefangen war wie in einem unendlich tiefen Schacht …
»Allein wirst du es nicht schaffen«, riss Azurs Stimme sie aus ihren Grübeleien.
Mira zuckte zusammen, entspannte sich jedoch sofort wieder. »Langsam habe ich das Gefühl, ich bin hier nicht im Aion, sondern in Bens Kopf«, sagte sie, verärgert, dass schon wieder jemand ihre Gedanken las.
Azur betrachtete den Himmel, als wolle er sich vergewissern, dass alles seine Richtigkeit besaß. »Ohne die Hilfe deiner Begleiter wirst du dein Ziel nicht erreichen können.«
Mira schüttelte den Kopf. »Die anderen werden mir kein Wort von all dem glauben«, seufzte sie.
»Das Unwesen mit den lockeren Schrauben wahrscheinlich nicht«, pflichtete Azur ihr bei. »Die drei Menschen womöglich schon.«
»Klingt nicht sehr überzeugend.«
»Ich bin nicht für die Zukunft zuständig«, verteidigte sich Azur und hob abwehrend die Hände. »Willst du nun in deine Welt zurückkehren?«
Mira lächelte betrübt. »Mir bleibt wohl keine andere Wahl, oder?«
»Doch, natürlich«, sagte Azur. »Du kannst stattdessen noch eine Weile hierbleiben; einhundert Jahre oder auch gerne zweihundert …«
»Ich komme mit!«, rief Mira entsetzt und sprang auf.
»Oh, das ist vernünftig! Das Aion setzt große Hoffnungen in dich. Aber zögere nicht zu lange, sonst glaubt es, du hättest dich doch entschieden hierzubleiben …« Daraufhin drehte Azur sich um und war in einem Sandwirbel verschwunden. »Wir sehen uns bald wieder, Beta Mira«, drang seine sich entfernende Stimme an ihre Ohren. »Irgendwo auf der anderen Seite.«
Mira starrte auf die Stelle, an der Azur soeben noch gestanden hatte. Dann sah sie sich suchend um und entdeckte ihn auf dem Damm, vielleicht einen Kilometer von der Insel entfernt. Er bewegte sich unglaublich schnell, ohne dabei jedoch die Beine zu bewegen. Ehe Mira sichs versah, war Azur dem Horizont so nahe gekommen, dass er im bleichen Dunst verschwand.
Mira warf noch einen nachdenklichen Blick hinab auf das Segelschiff, dann wandte sie sich um und folgte Azur. Als sie die künstliche Landbrücke erreicht hatte, zögerte sie kurz, denn auf der anderen Seite des Meeres war kein neues Ufer zu erkennen. Der Damm schien einfach hinter den Horizont zu führen.
Nach etwa einer Stunde Fußmarsch war immer noch kein Land zu sehen. Auch die Insel war inzwischen im Dunst verschwunden. Mira ging zügiger, dann begann sie zu laufen. Schließlich rannte sie in den dichter werdenden Nebel hinein, rannte und rannte – bis sie plötzlich ins Leere trat. Wild ruderte sie mit den Armen, in der Hoffnung, irgendetwas zu fassen zu kriegen, an dem sie sich festhalten konnte, dann stürzte sie in die Tiefe.
11 Der Lebenshandel
Unruhig wälzte sich Jiril auf dem Efeuboden hin und her. Obwohl der Alpha todmüde war und sein beheizter Schlafsack ihn wärmte, fand er keine Ruhe. Das Bewusstsein, in der Nähe eines Wasserbeckens zu liegen, in dem über tausend Menschen trieben und aus dem jederzeit wieder Fangarme herauswachsen konnten, machte ihn schier wahnsinnig. Hinzu kam, dass es im Efeu, der den Boden und die Hangarwände bedeckte, unentwegt raschelte, knackte und zirpte. Jiril stellte sich vor, wie aus allen Richtungen armlange Tausendfüßler, handtellergroße Spinnen und anderes Kriechgetier auf ihn zukrabbelte, um zu ihm in den warmen Schlafsack zu schlüpfen, sobald er eingeschlafen war. In seiner Fantasie verfütterte er Ben, dem er diese ungemütliche Nacht zu verdanken hatte, scheibchenweise an ausgehungerte
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