Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Aktmodell

Das Aktmodell

Titel: Das Aktmodell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jina Bacarr
Vom Netzwerk:
auf die Unterlippe. Meine Gedanken sind bei Lillie. Was macht sie gerade? Ich bin so beschäftigt mit meiner Tätigkeit, dass ich nicht bemerke, wie die Wärterinnen ebenfalls gehen und die Gefangenen allein zurücklassen.
    “Ich werde Euch jetzt umbringen, Mademoiselle”, zischt mir heißer Atem ins Ohr. “Jetzt!”
    Ich schieße herum und sehe ein blitzendes, scharfes Metallstück zwischen Lillies Fingern, ihre erhobene Faust schwebt inmitten der Dampfwolken direkt über meinem Kopf. Niemand muss mir erklären, dass dieses Kupferstück mein Gesicht mit einem Schlag in Stücke reißen wird.
    Ich ducke mich unter dem heißen Dampf. Innerhalb weniger Sekunden sehe ich Lillies schwarze Stiefel in meine Richtung kommen. Ich greife nach ihren Knöcheln und bringe das Mädchen zu Fall.
    “Das wirst du bereuen”, schreit Lillie, nach Luft schnappend. Der Hass, der aus ihren Augen funkelt, ist so scharf, dass er den dichten Nebel vor meinem Gesicht zerschneidet.
    Ich komme wieder auf die Beine und greife nach einem nassen Handtuch, knäule es zu einem Ball und werfe es Lillie ins Gesicht. Sie fängt es und wirft es zur Seite. Ihr Busen bebt dabei vor Lachen.
    “Deine billigen Tricks werden mich nicht aufhalten, du Hure.”
    “Ich habe noch mehr davon auf Lager”, schreie ich und versuche Zeit zu schinden. Wann kommt endlich die Wärterin zurück? Wahrscheinlich erst, wenn ich ohnmächtig auf dem Boden liege. Dann ist es aber zu spät. Genau, wie die Irre es geplant hat.
    “Du wirst den Tag noch verfluchen, an dem du mir Paul Borquet weggenommen hast.” Lillie umkreist mich mit vorsichtigen, präzisen Schritten wie in einem sorgfältig einstudierten Tanz.
    “Er hat dir nie gehört, Lillie. Jetzt hau endlich ab und lass mich in Ruhe.”
    “Ich gehe erst, wenn ich mit dir fertig bin,
mon camelot
, du Billigdirne.”
    Mit gebeugtem Rücken, die Schultern hochgezogen und die Hände wie Krallen zum Schlag bereit, steht sie vor mir, als plötzlich jemand ein tropfnasses Handtuch über ihren Kopf wirft.
    “
Merde”
, ruft sie gedämpft unter dem Tuch hervor. “Wer war das?”
    Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, als ich Lillies Kampf mit dem nassen Tuch beobachte. Schwer atmend lehne ich mich an die Wand und danke meiner Mitgefangenen Yvette. Sie zwinkert mir zu, und ich zwinkere zurück, aber die Show ist noch nicht zu Ende.
    “
Vien-ci
, kommt, Mädels, das ist unsere beste Chance, den schmierigen Fingern des Doktors zu entkommen”, fordert Yvette uns auf und schwingt ein weiteres nasses Handtuch über ihrem Kopf.
    “Oder wir liegen auf dem Rücken, mit der Pinzette des
bon docteur
tief in unserer Muschi”, schreit eine andere.
    Die Frauen beginnen nach den Wärterinnen zu rufen und werfen sich ausgelassen wie Schulmädchen bei einer Pyjamaparty nasse Handtücher an die Köpfe. Sind die verrückt? Oder ziehen sie tatsächlich die Spezialbehandlung auf dem Hof einem Besuch beim Arzt vor?
    Ich habe keine Lust, das herauszufinden, und mache mich lieber aus dem Staub.
    Die Tür lässt sich mühelos öffnen. Die Wärterinnen müssen sie unverschlossen gelassen haben, damit Lillie fliehen kann. Ich schlüpfe hinaus und schaue mich auf dem Korridor um. Leer wie ein Beichtstuhl um Mitternacht. Meine Chance, zu fliehen – aber in welche Richtung soll ich gehen? Das Gefängnis ist von hohen Mauern umgeben, und an jedem Tor stehen Wachen. Ein kratzendes Geräusch weckt meine Sinne.
Ratten? Oder ihre zweibeinigen Vertreter?
    “So, Mademoiselle, Ihr lebt immer noch?”, sagt eine raue Stimme hinter mir. “Lillie ist anscheinend außer Übung.”
    Ich drehe mich um. Die Wärterin mit dem hässlichen Strohhaar hat sich vor mir aufgebaut und knallt mit der Peitsche auf den Holzboden.
    “Ich habe keine Angst vor Euch.” Nein, ich habe keine Angst, ich fürchte mich nur zu Tode. Aber ich soll verdammt sein, wenn ich in diesem Drecksloch sterbe.
    “Ich sorge dafür, dass Ihr hier
niemals
lebendig herauskommt”, droht mir die Wärterin mit einem so hässlichen Lächeln, dass mir schlecht wird.
    Zisch! Die Peitsche zerschneidet die Luft gefährlich nah an den anderen Frauen, die sich inzwischen um uns versammelt haben. Die Wärterin fixiert mich mit ihrem Blick.
    Yvette greift nach mir, und ihre schlanken Finger halten mich mit einer Entschlossenheit, die mir neuen Mut gibt. “Sie wird es nicht wagen, Euch zu nahe zu kommen”, flüstert sie. “Nur Mère L’Abbesse, die Mutter Oberin, kann eine Bestrafung

Weitere Kostenlose Bücher