Das Alabastergrab
mir tausend Augen über die Schulter
schauen. Außerdem fehlt mir die authentische Umgebung. Herr Haderlein, wäre es
vielleicht möglich, das Ganze im kleinen Kreis vor Ort zu besprechen?
Vielleicht im Dom? Ich brauche Ruhe und Inspiration, sonst wird das nichts.«
Haderlein nickte. »Natürlich, warum nicht? Und aus wem sollte Ihrer
Meinung nach der Kreis bestehen, Herr Professor?«
»Ich bleib gerne hier und führe noch ein paar Telefonate, während
mir der Chef des Hauses dabei zur Hand geht«, erklärte sich Driesel bereit.
»Außerdem müssen wir uns noch um Nikolai Dassajew kümmern. Vielleicht gibt’s da
ja schon Fahndungserfolge. Wäre das möglich?«
»Äh, ja, natürlich«, antwortete Fidibus, obwohl man ihm ansah, dass
er liebend gerne zur geheimen Besprechung in den Dom mitgegangen wäre. Driesel
zwinkerte Haderlein unauffällig zu, der das mit einem unmerklichen Lächeln
quittierte.
»Gut«, fasste Haderlein zusammen, »dann wären wir noch zu viert. Kollege
Schmitt, Dr. Newman, Sie und ich, Herr Professor. Schade, dass Sie jetzt nicht
zu Ihrem Bier gekommen sind, aber draußen wird es bald dunkel, also beeilen wir
uns.«
Von seinem Wagen aus beobachtete Nikolai, wie vier Personen die
Dienststelle verließen und in den Fiat Multipla des großen, hageren Kommissars
stiegen, der vor einer knappen Stunde hier mit einem merkwürdig gekleideten
Mann mit Schnauzbart aufgekreuzt war.
Na also, dachte sich Nikolai, es geht also los. In seinen Land Rover
folgte er dem Wagen des Kommissars in sicherem Abstand. Wie sein Auftraggeber,
mit dem er gerade kurz Rücksprache gehalten hatte, vermutet hatte, schlugen die
vier den Weg zum Dom ein.
*
Am Dom stellte Haderlein sein Fahrzeug direkt vor dem großen
Sandsteinbau mit den vier gewaltigen Türmen ab. Normalerweise war Parken auf
dem gepflasterten Platz vor dem Bamberger Dom strengstens verboten, sodass die
Gruppe etliche Blicke der Missbilligung erntete, während Haderlein das Fahrzeug
abschloss.
In der einsetzenden Dämmerung machte der Kirchenbau einen imposanten
Eindruck. Die untergehende Abendsonne leuchtete noch zwischen den Türmen
hindurch, und die letzten Sonnenstrahlen spitzten über die Dächer der alten
Hofhaltung. Eine fast unwirkliche Stimmung lag über der mittelalterlichen
Szenerie des Dombergs. In früheren Zeiten mussten die Bischofskirche und die
nicht minder mächtige Kulisse, die sie umgab, große Ehrfurcht unter den
Bamberger Bürgern ausgelöst haben. Nicht umsonst zählte der Bamberger Dom zu den
bedeutsamsten Bauwerken des hohen Mittelalters in Europa.
Gänzlich unbeeindruckt von der baulichen Pracht schritt Professor
Habermehl durch die große Pforte in den schummrigen Eingangsbereich des
Kaiserdoms und zog wieder den Zettel heraus. Außer ihnen und einer Putzfrau war
niemand mehr anwesend. Die letzten Touristen waren ihnen gerade
entgegengekommen, wahrscheinlich um sich wichtigeren Dingen namens Sandkerwa
zuzuwenden.
Unter der Führung des Professors begaben sie sich in die Mitte unter
das gewaltige Deckengewölbe. Die Konturen des kahlen Innenraums verschwammen
langsam im diffusen Dämmerlicht der untergehenden Sonne.
Still verharrte Professor Habermehl auf der Stelle und hatte den
Blick starr auf das Blatt Papier mit den rätselhaften Zeilen gerichtet. Er kam
einfach nicht weiter, aber vielleicht sah er die ganze Sache auch zu eng?
Dieses kleine Genie hatte bestimmt einen gar nicht so schweren Kniff eingebaut,
auf den er nur gerade nicht kam.
»Begraben in Ludwigs Dom«, wiederholte er halblaut.
»Vielleicht stammt der Dom ja gar nicht von Heinrich und Kunigunde«,
frotzelte Lagerfeld. »Vielleicht ist er ja ein Kunstwerk unseres geliebten
bayerischen Märchenkönigs Ludwigs II .?«
Habermehl brachte ihn mit einem genervten Blick zum Schweigen. Es
war so schon alles kompliziert genug, da brauchte einem dieses fachfremde Hirn
mit seinen ungebildeten … aber halt! Mit einer Geschwindigkeit, die man seinem
Feuerzangenbowlenkörper gar nicht zugetraut hätte, drehte sich Habermehl um.
»Was haben Sie da gesagt, Schmitt?«, fuhr er ihn nervös an.
»Ich, äh, ja, mein Gott, was ist denn jetzt so schlimm da dran? Mer
döff ja wohl noch amal …«, versuchte er sich auf Fränkisch zu rechtfertigen,
wurde aber erbarmungslos unterbrochen.
»Ludwig II .? Schmitt,
Sie sind klasse, nein, Sie sind geradezu genial. Das ist es! Ihre
kulturhistorische Einfältigkeit ist tatsächlich zu etwas nutze!«
Lagerfeld verstand nur Bahnhof
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