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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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dem
Aufhören«, erklärte Clemence und marschierte an der Stelle vorbei, wo die Reste
der Gleise in Erdreich und Schiefer übergingen. »Deswegen.«
    Eingelassen in den Untergrund war eine hölzerne
Falltür von fahlgrüner Farbe. Wäre man oben im Freien zufällig darauf gestoßen,
hätte man sie naturgemäß für den Eingang zu einem Keller oder Untergeschoss
gehalten, hinter dem sich nichts Bedrohlicheres als Kohle oder Feuerholz oder
eine Ansammlung halb vergessenen Gerümpels verbarg. Aber hier, am Ende eines
Stollens tief unter der Erde, wirkte die Tür nicht recht geheuer – wie
umgeben von einer unheilvollen Aura.
    Clemence schien seltsam zufrieden mit sich. »Das
ist es.«
    Moon sagte nichts. Es kostete ihn einige
Anstrengung, aber schließlich gelang es ihm, die Falltür zu öffnen. Darunter
herrschte Dunkelheit, doch am Ende des tiefen vertikalen Schachtes zuckte ein
Fünkchen Licht. Der Schlafwandler brachte seine Laterne näher heran, und jetzt
war an der Wand des Schachtes eine Leiter aus Metall zu erkennen, die in eine
beängstigende Tiefe führte.
    Clemence hüstelte nervös. »Und an diesem Punkt
muss ich Sie leider verlassen, meine Herren.«
    »Ich danke Ihnen.« Moon übergab dem Mann seine
Handvoll Münzen. »Sie waren uns eine große Hilfe.«
    »Nichts zu danken.« Clemence setzte sich in
Bewegung, sichtlich bestrebt, rasch wegzukommen. »Mister Moon?«
    »Hmmm?«
    »Seien Sie vorsichtig.« Er verschwand in Richtung
Haupttunnel.
    Moon sah ihm nach. »Wir klettern hinunter zum
Licht«, sagte er und schwang sich hinab in den Schacht. Hätte er sich an Cribbs
Worte erinnert, hätte er vielleicht gezögert. Doch Moons Neugier war größer als
seine Vorsicht. Er hielt sich an der Leiter fest und begann langsam mit dem
Abstieg. »Kommst du?«, rief er dem Freund zu.
    Indessen versuchte der Schlafwandler fieberhaft,
Moon an seine Höhenangst zu erinnern, aber all seine Bemühungen waren vergebens,
weil Moon sie nicht mehr sehen konnte.
    »Keine Sorge«, sagte letzterer dennoch, »es ist
viel zu dunkel, um zu sehen, wie weit es bis unten ist.«
    Er kletterte unbeirrt weiter, und dem
Schlafwandler blieb nichts anderes übrig, als seinem Beispiel zu folgen. Wäre
er in der Lage gewesen, ungehalten in seinen Bart hineinzumurmeln, dann hätte
er es zweifelsohne getan.
    Roger Clemence kehrte auf den Bahnsteig
der Station zurück und traf auf einen wohlgenährten Mann mit Apfelbäckchen, der
etwas in der Hand hielt, das wie eine angebissene Fleischpastete aussah, und
ihn schon erwartete.
    »Abend, Mister Clemence!«
    »Abend, Mister McDonald.«
    Der dicke Mann nahm einen tüchtigen Bissen von
seiner Pastete und kaute geräuschvoll wie ein Hund, der sich quer durch einen
Teller voller Essensreste schmatzte. »Dann ist er also dort?«
    »Jawohl, Sir. Ordnungsgemäß verpackt und
zugestellt.«
    »Endlich. Wir fragten uns schon, ob er überhaupt
noch draufkommen würde.«
    »Er ist nicht mehr der alte, wissen Sie. Hat seine
besten Tage schon hinter sich. Der Mann ist ausgebrannt. Verbraucht.
Abgenutzt.«
    »Ich weiß.« Donald McDonald lächelte. »Genau das
ist der Grund, weshalb wir ihn wollen.«
    Nach einer halben Ewigkeit auf der
Leiter kamen Moon und der Schlafwandler unten an und traten hinaus ins Licht.
Ein wenig zittrig von der hinter ihm liegenden Nervenprobe wechselte der Riese
von der untersten Sprosse wieder über auf die feste Mutter Erde.
    Sie sahen sich um und nahmen Geräusche, Gerüche
und den Anblick von
Love
in sich auf. Schließlich brach Moon das
Schweigen. »Ich muss gestehen, ich bin ein wenig enttäuscht.«
    Der Schlafwandler sah nur finster drein.
    Sie befanden sich in einer Art Lagerraum, umgeben
von leeren Kisten, alten Flaschen und halb verrotteten Leinensäcken. Ein
unangenehmer Geruch hing in der Luft, der an verwesendes Fleisch gemahnte. Moon
ging zur Tür. »Wollen wir hoffen, dass wir da draußen auf Interessanteres
stoßen.«
    Sie betraten einen großen Raum, der im Augenblick
zwar menschenleer war, ganz offensichtlich jedoch als Speisesaal diente, denn
Stühle und einfache, auf Schragen stehende Tische bildeten lange, präzise
ausgerichtete Reihen. Am anderen Ende des Saals, unter einem Balkon, der
offenbar für Ansprachen oder Verlautbarungen an die unten Versammelten gedacht
war, hing ein riesiges Banner an der Wand. Es trug ein Symbol, das die beiden
Eindringlinge schon wiederholt zu Gesicht bekommen hatten: die schwarze Blume
mit fünf Blütenblättern.
    Moon konnte seinen

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