Das Albtraumreich des Edward Moon
die Schnelligkeit, mit der er es tat. Ich muss zugeben,
es überrascht mich einigermaßen«, wechselte ich das Thema, »dass Sie mich nicht
nach Cyril Honeyman fragen. Schließlich war es sein Tod, der Sie auf diese Spur
brachte.«
Moon starrte mich finster an.
»Keine Theorien?«, fragte ich leichthin. »Keine
eleganten Hypothesen? Keine brillanten Schlussfolgerungen, die Sie im letzten
Moment aus dem Hut zaubern?«
»Sagen Sie schon!«, schrie er mich an.
»Er war der Köder, Edward. Ein gemeines, abwegiges
Verbrechen, das Ihre Aufmerksamkeit erregen
musste
. Ein kleines Drama,
von dem wir wussten, Sie würden ihm nicht widerstehen können. Als Mittel, Sie
in unsere Richtung zu steuern, konnte es gar nicht fehlschlagen.«
»Wollen Sie damit vielleicht sagen, das alles galt
nur mir? Eine abgekartete Sache?«
»Im Wesentlichen stimmt das, ja.«
»Menschen sind gestorben«, donnerte Moon, »nur
damit wir diese müßige Unterhaltung führen können?«
»Nun, ganz so ausschließlich auf Ihre Person
bezogen dürfen Sie es nicht sehen«, dämpfte ich ihn. »Mrs Honeyman und Mrs
Dunbar hatten wenig übrig für ihre leichtlebigen Söhne. Alle beide wollten
dieses Krebsgeschwür, das sich in ihr Leben fraß, loswerden – kurz und
schmerzlos entfernt wie eine hässliche Warze. Und ich glaube, sie hatten sogar
ihre Freude an dieser Erfahrung.«
»Mrs Honeyman. Mrs Dunbar. Das sind doch wohl kaum
Menschen am Rande der Gesellschaft, oder?«
»Ich gestehe, es gab Zeiten finanzieller Engpässe
bei
Love
. Wir brauchten Geld. Die beiden waren wertvolle Aktivposten.«
»Waren?«
»Sie sind nicht würdig, ins Paradies einzutreten«,
räumte ich gelassen ein.
»Und der Fliegenmensch? Warum er?«
»Eine geradezu abenteuerlich phantastische Note,
von der ich fand, sie müsste Ihnen sehr entgegenkommen. Wie konnten wir wissen,
dass Sie ihn töten würden?«
»Gut, und jetzt haben Sie mich also hier. Was
wollen Sie? Geht es nur darum, mich zu demütigen?«
»Oh, ich will nicht abstreiten, dass mir das Spaß
gemacht hat. Aber hier dreht es sich um mehr als nur Rache.«
»Was wollen Sie also?«
»Nun, Edward«, lächelte ich, »Sie werden sich uns
anschließen.«
Mrs Grossmith – die künftige Mrs
Barge – wachte kurz vor Tagesanbruch plötzlich auf, ohne einen
unmittelbaren Grund dafür zu erkennen. Im Zimmer war es still, nur draußen im
Garten konnte sie die Vögel hören, die ihre gewohnten Lieder trillerten, ihre
Morgenarien, ihre federleichten Hymnen und Gesänge. Schon ihr ganzes Leben lang
fragte sich Mrs Grossmith, was ihnen an dieser fast noch nachtschlafenen Zeit
nur soviel Freude bereiten konnte; doch seit sie Arthur kannte, wusste sie die
Antwort. Ein kleiner Wonneseufzer entschlüpfte ihr beim Gedanken an ihn –
irgendetwas zwischen Röcheln und sattem Stöhnen – und sie streckte die
Hand nach ihm aus, fand jedoch nur das Laken, immer noch warm, aber schmerzlich
bar jedes Bräutigams. »Arthur?«
Also falls Sie irgendwelche viktorianischen
Bedenken haben, was ein liebendes Paar beim Teilen eines gemeinsamen Bettes
betrifft, dann behalten Sie sie besser für sich. Mit solch antiquierter
Prüderie möchte ich nichts zu tun haben, und ich kann Ihnen schon jetzt
versichern, dass im neuen Pantisokratenstaat für Ihre Spießbürgerlichkeit kein
Platz sein wird. Die moralischen Zwänge unserer Eltern und Großeltern werden
abgeworfen und durch etwas Natürlicheres, Schöneres und Echteres ersetzt.
Befreit von den Käfigen, die die Gesellschaft mit einer solch
selbstquälerischen Erfindungsgabe um sich errichtet hat, wird der Mensch blühen
und gedeihen. In dieser neuen Ära werden wir alle sein wie Emmeline Grossmith
und Arthur Barge.
Die Abwesenheit ihres Liebsten beunruhigte die
Braut. Sie verspürte die erste, schwache Vorahnung, dass der vor ihr liegende
Tag furchtbar enden würde, und auf einmal hörte das fröhliche Zwitschern am
Vogelbad draußen auf, anregend zu wirken. Sie setzte sich auf, schob die Kissen
hinter sich und rieb sich die trockenen, schuppigen Krümel aus den Augen, die
sich dort während des Schlafes zu bilden pflegen. Wie üblich konnte sie nicht
widerstehen und steckte einen davon in den Mund, auf dem sie dann versonnen
herumkaute; doch anders als sonst versäumte es das Ritual heute, sie
aufzuheitern. Sie rief noch einmal: »Arthur?«
Die Tür ging auf, und ihr Bräutigam erschien auf
der Schwelle – saubergeschrubbt, frisch rasiert und vollkommen
angekleidet. »Ja, mein
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