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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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Täubchen, mein Engel?«
    »Es ist noch so früh! Was tust du denn schon auf?«
    »Habe ich dich geweckt?«
    »Arthur, ich bin beunruhigt!«
    »Kein Grund dazu, mein Liebes. Ich bin in ein,
zwei Stunden wieder zurück. Es gibt da eine kleine Sache, um die ich mich
kümmern muss. Etwas, das ich schon längst hätte erledigen sollen. Aber nichts,
worüber du dir den Kopf zerbrechen musst, Liebste.«
    Die allzu glatte, unbekümmerte Art, wie er das
sagte, die gekünstelte Lässigkeit seines Tonfalls, brachte sie auf der Stelle
zur Überzeugung, dass das Gegenteil zutraf: dass die kleine Sache, wegen der
die Liebe ihres Lebens so früh das Bett verlassen hatte, sehr wohl etwas war,
das ihr Kopfzerbrechen bereiten, ja, mehr noch, das ihr Angst machen sollte.
    Barge trat ans Bett, setzte sich auf die Kante und
strich seiner Emmy über die Wange. »Schlaf weiter. Ich bleibe nicht lange fort.
Und ich habe eine Überraschung für dich, wenn ich zurückkomme.«
    »Eine Überraschung?«
    Er legte einen Finger an die Lippen. »Wart’s ab.«
    Mrs Grossmith ließ sich beschwichtigen, und eine
Zeit lang gelang es ihr sogar, diese hartnäckige Vorahnung einer nahen
Katastrophe zu ignorieren. Arthur verließ das Haus, um seine geheimnisvolle
Angelegenheit zu erledigen, und seine Braut kroch zurück unter die Decke und
ließ sich noch einmal vom Schlaf übermannen. Ihre Träume waren unruhig und
pechschwarz.
    Schlimm genug, dass diese reizende Dame unter
solchen Albträumen zu leiden hatte – noch schlimmer jedoch, dass dieses
verschwommene, gestaltlose Grauen beim Erwachen von den Schrecken der realen
Welt sogar weit übertroffen werden sollte.
    Arthur Barge rief eine Droschke herbei
und trug dem Kutscher auf, ihn zum Piccadilly Circus zu bringen. Den Auftrag
hatte er lange vor sich hergeschoben – ein sträfliches Versäumnis bei
einem Mann, der sein Leben lang auf seine Pünktlichkeit und sein berufliches
Pflichtbewusstsein stolz gewesen war.
    In Piccadilly angekommen, ließ Barge die Droschke
anhalten und stieg aus. Der Gegenstand seines Auftrags befand sich natürlich
nicht dort, aber er wollte es vermeiden, dem Kutscher die genaue Adresse zu
nennen. Er bezahlte den Fahrpreis und achtete darauf, das Gesicht abzuwenden,
während er dies tat; er durfte nicht Gefahr laufen, von dem Mann später unter
Umständen identifiziert zu werden.
    Er trat zurück und wartete, bis die Droschke außer
Sicht war, ehe er sich Richtung St.-James-Park in Bewegung setzte.
    Es war früh am Morgen, gerade hell geworden, und
die Straßen waren menschenleer – abgesehen von jenen Unglücklichen, die
ihre Nächte zusammengekauert in den Nischen und Gossen Londons verbrachten.
Barge schritt an ihnen vorbei, ohne ein zweites Mal hinzusehen – durchaus
verständlich in Anbetracht der Allgegenwart solcher Anblicke. Aber vielleicht
sollte hier angemerkt werden, dass derartige Übelstände in einem
pantisokratischen Staat niemals auftreten würden …
    Barge kam zum Park, umrundete ihn und bog von der
Pall Mall in eine enge Gasse ein. Ein Stück weiter blieb er vor einem
unauffälligen Haus stehen. Auf dem Schild neben der Türglocke stand
geschrieben:
    KLUB DER ÜBERLEBENDEN NUR FÜR MITGLIEDER
    Selbstredend war Barge kein Mitglied im
Klub.
    Er zog ein langes, dünnes Instrument aus der
Innentasche seiner Jacke – ein zartes Ding mit scharfen Zacken. Mit der
Gemütsruhe eines Mannes, der diese Tätigkeit schon viele Male ausgeführt hatte,
führte er das Instrument ins Schlüsselloch ein, drehte es erst in eine
Richtung, dann in die andere, bis das Schloss mit gediegenem Klicken aufsprang.
So leise wie möglich zog er die Tür auf und trat ins Innere des Hauses.
    Er schlich langsam den Korridor entlang. Vor ihm
lag der Rauchsalon, aus dem ohrenbetäubendes Schnarchen und Schnaufen drang.
Barge reckte sich vorsichtig hinein, doch alles, was er sah, war ein alter
Mann, der in einem Lehnstuhl schlief, die gestrige
Times
aufgeschlagen
auf den Knien und eine halbleere Brandykaraffe zu seinen Füßen.
    Barge zog sich wieder zurück und ging ans Ende des
Korridors, wo, wie er wusste, Mister Dedlock sein Quartier aufgeschlagen hatte.
Er beobachtete den Klub schon seit Wochen und war im Laufe dieser Zeit zu dem
Schluss gekommen, dass die Mitgliedschaft ausnahmslos auf die
allersonderbarsten Käuze der Stadt beschränkt sein musste. Jeder, den er hatte
eintreten oder herauskommen sehen, wirkte auf seine Weise wie eine
Hogarth-Figur, die aus einem Bild des

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