Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
Vom Netzwerk:
routinierter, etwas
alberner Koketterie.
    Pluck stürzte herbei, streckte die Hand aus und
strich, in fast besinnungslose Glückseligkeit versetzt, mit halb geschlossenen
Augen über ihre Gesichtsbehaarung. »Oh, bist du schön«, murmelte er. Mina
dankte ihm mit einem professionellen Lächeln, welches verriet, dass sie diese
Art von Kompliment gewohnt war.
    Moon gähnte. »Sonst noch etwas?«
    »Sie möchten stets mehr, nicht wahr, Mister
Gray?«, bemerkte die Madame.
    »Dafür bezahle ich Sie doch.«
    Mrs Puggsley geleitete Pluck zu seinem Sessel
zurück, löste die Schnur um Minas Mitte und streifte ihr sacht die Robe von den
Schultern, bis das Mädchen nackt vor den beiden Männern stand. Ihr Körper besaß
zwar eine reife, dralle Sinnlichkeit, war jedoch an sich nichts
Außergewöhnliches.
    Das jedoch, was zwischen ihren Brüsten herabhing,
war sehr wohl etwas Außergewöhnliches: ein wunderlicher Auswuchs, ein
widerwärtiges Stück rosa Fleisch, das eine haarsträubende Ähnlichkeit mit dem
abgerissenen Arm eines Säuglings hatte. Es hüpfte und zuckte leicht unter den
starren Blicken der beiden Männer, als wäre es sich ihrer gebannten
Aufmerksamkeit bewusst.
    Moon strich sich mit der Zunge über die Lippen.
»Fabelhaft.«
    »Meine Herren –«, Mrs. Puggsley strahlte vor
Stolz, »– wenn Sie wollen, gehört sie Ihnen.« Moon und Pluck grinsten
einträchtig und gleichermaßen lüstern. »Wie lauten Ihre Gebote?«
    Pluck nannte eine Summe, die sehr wahrscheinlich
seinem Wochenlohn entsprach, und Moon verdoppelte sie ohne zu zögern. Pluck
antwortete mit einer bescheidenen Erhöhung, nur um seinem Gegner Gelegenheit zu
geben, die Summe erneut zu verdoppeln.
    Niedergeschmettert gab sich der kleine Mann
geschlagen: »Sie gehört Ihnen.«
    »Behandeln Sie sie rücksichtsvoll«, sagte Mrs
Puggsley streng.
    »Ich behandle sie so, wie’s mir gefällt.« Moon
nahm Minas Hand und führte sie aus dem Salon zur Treppe, die in den Oberstock
zu den Boudoirs führte. Beim Hinausgehen hörte er, wie Mrs Puggsley ihr Bestes
tat, um den Verlierer aufzuheitern.
    »Das war Pech, Sir. Aber ich habe noch eine ganze
Schar, die Ihnen gern zur Verfügung stehen würde. Das Robbenmädchen wird in
einer Stunde frei sein. Das Stecknadelköpfchen wäre sofort bereit. Und wenn es
Ihnen nichts ausmacht, ein wenig zu warten, dann haben wir in Kürze ganz neu
eintreffende Siamesische für Sie.«
    Edward Moon war am Ende der Treppe angelangt und
hörte nichts mehr. Und für die nächsten drei luxuriösen Stunden überließ er
sich den Zärtlichkeiten einer bärtigen Dame.
    Nun denn: dieser Vornehmtuer, dieser
Hurenbock –
das
ist unser Held. Der dürftige Abklatsch eines
solchen, ich weiß, aber wir leben nun einmal nicht in Heldenzeiten, und leider
scheint es, als wäre Edward Moon noch das Beste, was diese Ära uns anzubieten
hat.
    Falls Sie nun, da Sie dieses jüngste Detail aus
dem erbärmlichen Privatleben des Mannes erfahren haben, Ihre Fähigkeit in
Zweifel ziehen, seine Person für den verbleibenden Rest des Berichtes zu
ertragen, möchte ich vorschlagen, Sie werfen die Flinte ins Korn und dieses
Manuskript einfach weg. Verbrennen Sie es, wenn Ihnen der Sinn danach steht!
Zerreißen Sie es in kleine Fetzchen! Versuchen Sie sich an Origami! Glauben Sie
mir, Sie haben meine vollste Sympathie. Wenn ich könnte, würde ich das Gleiche
tun.
    Sollten Sie es jedoch ungeachtet des
Vorhandenseins einer so verwerflichen Hauptfigur vorziehen durchzuhalten, dann
sollten Sie wissen: Alles wird nur noch schlimmer.
    Moon verließ Madame Puggsleys Haus, zog
behutsam die Eingangstür hinter sich zu und sah sich gewissenhaft um. Und da er
sich irrigerweise für unbeobachtet hielt, ging er ans Ende des Gässchens und
bog dort auf seinem Weg nach Hause in die Goodge Street ein. Das Pflaster der
Straßen war verlassen, und bis auf das Hallen seiner Schritte herrschte
unheimliche Stille. Doch kaum hatte er ein Stück seines Weges zurückgelegt,
unterbrach ein diskretes Hüsteln die Lautlosigkeit der Nacht. Erschrocken
drehte Moon sich um: Ein Mann stand dicht hinter ihm.
    Ein kleiner Mann, adrett gekleidet, der selbst
jetzt nervöse Betriebsamkeit ausstrahlte. Ein goldgerandeter Kneifer saß präzise
auf seiner Nasenspitze. Die Gesichtsfarbe des Mannes wirkte blass, ja
ungewöhnlich bleich, und sein Haar war schneeweiß.
    Ein düsterer Ausdruck huschte über Moons Züge, als
er erkannte, wer ihm gefolgt war, und er reagierte mit einem eisigen Nicken.

Weitere Kostenlose Bücher