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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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gelernt.«
    »Wir haben getan, was wir konnten. Aber ich kann
Ihnen mein Wort darauf geben – es ist immer noch der seltsamste Fall
geblieben. Der verwirrendste meiner ganzen Laufbahn.«
    Moon zog eine Braue hoch. »Sind sie das nicht
alle?«
    »Dieser ist etwas ganz Besonderes«, beharrte
Merryweather: »Er hat etwas Absonderliches an sich, etwas Erschreckendes,
Schauerliches. Also werden Sie begreifen, weshalb ich an Sie gedacht habe.«
    »Klingt perfekt.«
    Merryweather lachte wieder auf – diesmal war
es eher ein verdrießlich-kratziges Bellen. »Mrs Grossmith erzählte mir schon
von Ihrer schrecklichen Langeweile. Wissen Sie, eigentlich sollte ich gar nicht
hier sein. Meine Kollegen sehen das gar nicht gern, sie finden, ich wäre
irgendwie auf Ihre Person fixiert. Und nach dieser Sache in Clapham …«
    Der Magier zuckte zusammen.
    »Nun, seit damals sind sie nicht mehr so geneigt,
ein Auge zuzudrücken.«
    ABEND, INSPEKTER
    In Anwesenheit des Schlafwandlers
geriet Merryweather stets ein wenig aus dem Gleichgewicht, und auch nun erhielt
die wie immer unerschütterlich prächtige Laune des Inspektors augenblicklich
einen Dämpfer.
    Der Schlafwandler setzte sich, nahm die Fliege ab
und goss sich ein Schlückchen Milch ein. Er hatte gerade das Glas an die Lippen
gesetzt, als Moon aufsprang und den Inspektor ansah. »Also gut!«, rief er
ungeduldig. »Ich möchte sehen, wo es sich zugetragen hat!«
    Eine Stunde später standen die drei auf
dem Turm, wo sich für Cyril Honeyman der Vorhang ein allerletztes Mal gehoben
hatte. Das Fenster, durch das er in die Tiefe gestürzt war, wartete immer noch
auf eine Reparatur, und so herrschte schneidende Kälte im Raum. In der Luft lag
ein schwerer, fauliger Geruch, der von dem Tisch stammte, auf dem sich
herrenlose verdorbene Speisen häuften – das, was einst ein üppiges
Festmahl dargestellt hatte, war nun verschimmelt und stank.
    »Bitte verzeihen Sie den Geruch«, sagte
Merryweather. Er war fest eingepackt in einen dicken Wollmantel und trug einen
schwarzen Schal um den Hals. »Es war auch mal eine Flasche Champagner da, aber
den haben die Jungs schon vor Tagen weggeputzt.«
    Moon ließ einen Finger über den Rand des Tisches
gleiten, der mit verkrusteten Flecken, grauem Staub und Schimmel bedeckt war.
    »Wozu diente dieses Gebäude früher einmal?«,
fragte er.
    »Niemand weiß das so genau. Wir glauben, es könnte
sich um eine Art Wasserturm handeln. Außer Betrieb«, fügte er einigermaßen
ratlos hinzu. »Ist auf keinem Stadtplan zu finden. Scheint offiziell gar nicht
zu existieren.«
    »Ich glaube nicht, dass es ein Wasserturm ist,
Inspektor.« Moon stand am Fenster und blickte in Gedanken versunken hinab auf
die Straße. »Ich halte es für einen Wachturm.«
    »Entschuldigen Sie das Durcheinander. Wie es
aussieht, haben die Jungs von der Stadtpolizei alle Ihre schönen Spuren zu Tode
getrampelt.«
    Der Schlafwandler klopfte Moon auf die Schulter
und schwang seine Tafel.
    SELBSMORT
    Mit einer brüsken Handbewegung wischte
Moon diese Vermutung weg.
    »Sie kennen den Ruf dieser Gegend«, sagte
Merryweather. »In Anbetracht der erlesenen Speisen und des Bettes neigen wir zu
der Ansicht, er könnte hergelockt worden sein.«
    Moon schien ihn kaum gehört zu haben. »Ich hätte
schon erwartet, dass dies hier ins Auge springen müsste!« Er kniete unter dem
zerborstenen Fenster und hob einige Scherben hoch. »Sehen Sie nur, wie das Glas
gefallen ist! Hätte Honeyman es beim Hinausfallen zerbrochen, würde man es wohl
nur draußen vorfinden. Es liegt einfach zu viel davon im Innern, als dass es
sich so zugetragen haben könnte.«
    Merryweather runzelte die Stirn. »Was wollen Sie
damit sagen?«
    »Dass jemand – oder etwas – das Fenster
nach innen zerbrochen hat. Von der Außenseite des Turmes aus. Irgendetwas ist
hereingekommen!«
    »Unmöglich! Niemand könnte so hoch
heraufklettern!«
    »Merkwürdig, nicht wahr?«
    Merryweather seufzte. »Werden Sie den Fall
übernehmen?«
    Moon antwortete nicht.
    »Ich verstehe Sie nicht«, seufzte der Inspektor
wieder. »Sie warten doch schon seit geraumer Zeit sehnlich auf etwas wie das
hier! Etwas Verzwicktes, sagten Sie. Etwas Schwieriges, wie in den alten Tagen.
Etwas, das den Stempel wahrer krimineller Gewieftheit trägt. Eigentlich sollte
das hier die Erfüllung all Ihrer Träume sein!«
    »Träume?«, wiederholte Moon zerstreut und ging
daran, die Glasscherben über den Boden zu schieben; er arrangierte sie zu

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