Das Albtraumreich des Edward Moon
»Siehe
da. Mister Skimpole.« Ein alter, unangenehmer Bekannter.
Der Albino verneigte sich artig. Trotz seiner
leicht komisch anmutenden Erscheinung hatte er etwas Einschüchterndes an
sich – eine fast fühlbare Bedrohlichkeit.
»Ich habe Sie nicht bemerkt«, erklärte Moon.
»Das tun die Leute kaum jemals.«
»Wie lange folgen Sie mir schon?«
Skimpole wischte die Frage beiseite. »Haben Sie
Mrs Puggsley meine besten Empfehlungen überbracht?«
»Was wollen Sie?«
Der Albino starrte ihn ausdruckslos an, wobei die
untere Hälfte seiner Augen von den Gläsern des Kneifers grotesk vergrößert
wurde. »Ich benötige Ihre Hilfe.«
Moon schnaubte verächtlich und setzte sich wieder
in Bewegung.
Skimpole eilte hinter ihm her. »Warten Sie!«
»Ich habe schon wiederholt abgelehnt. Meine Antwort
ist immer noch dieselbe.«
»Es findet gerade eine Verschwörung statt! Ein
Komplott gegen die ganze Stadt wird geschmiedet! Das Direktorium braucht Sie!
Ihr Land braucht Sie!«
»Suchen Sie sich einen anderen Handlanger.«
»Es geht irgendetwas vor sich! Spüren Sie es
nicht? Wir stehen vor einer großen Krise!«
Moon blieb schlagartig stehen, drehte sich um und
sah seinem Quälgeist ins Gesicht. »Das wird wohl Ihre Einbildungskraft sein,
Mister Skimpole. Zu viel Käse vor dem Schlafengehen.«
»Ich könnte Sie …!« Leichthin setzte er
hinzu: »
Mister Gray.
«
Moon sagte nichts.
Skimpoles Miene verzog sich zur Andeutung eines
Lächelns. »Sie werden mir helfen.«
Mit ausgesuchter Höflichkeit lächelte Moon zurück.
»Selbst ich habe gewisse Skrupel. Ehe ich Ihnen helfe, müssen Sie mir schon
eine Pistole an den Kopf halten.«
Entschlossenen Schrittes ging er weiter, und
Skimpole sah ihm nach, bis er in der Ferne verschwunden war. »Dazu könnte es
kommen«, sagte er leise. Und dann, mit festerer Stimme: »Dazu könnte es noch
kommen!«
Der folgende Tag begann nicht gut. Der
Affe, den Moon nun schon seit zwei Jahren in seiner Vorstellung einsetzte,
wurde unerwartet krank, und der Tierarzt verschrieb ihm eine Ruhepause von
unbestimmter Länge. Der Zoo schickte zwar umgehend einen Ersatz, aber der
entpuppte sich als widerspenstiger, ermüdender Kerl, der nicht die Spur des
Talentes seines Vorgängers zeigte. Aufgefordert zu begeisterten Luftsprüngen,
antwortete er mit einem lustlosen Schnattern; eingeladen, seinen Auftritt mit
Manierlichkeit und Stil zu absolvieren, schlich er mit dem ganzen Eifer eines
zum Tode Verurteilten, der sich seine Henkersmahlzeit holt, auf die Bühne.
Und so kehrte der Magier nach dem Ende der
Aufführung einigermaßen ernüchtert in die Wohnung zurück, während der Schlafwandler
es vorzog, noch ein Weilchen oben zu bleiben, um zu versuchen, den unwilligen
Schimpansen durch sanften Druck zu so etwas wie einem halbwegs brauchbaren
Auftreten zu bewegen.
Als Moon die Tür öffnete, döste Speight unruhig
auf der Treppe vor sich hin. Mrs Grossmith hörte Moon eintreten und eilte ihm
entgegen. »Es wartet jemand auf Sie! Ich sagte, es sei schon spät, aber er ließ
sich nicht abweisen.«
»Wer ist es?« Moon dämpfte seine Stimme zu einem
Wispern. »Ist es der Albino?«
Jemand, der nicht zu sehen war, lachte schallend
auf.
Moon ging in die Küche und fand dort eine behäbige
Gestalt vor, die sich in seinem Lieblingssessel räkelte.
»Albino?« Wieder lachte der Besucher laut auf.
»Also wirklich, Moon, Ihre Freunde werden mit jedem Mal, da wir uns sehen,
merkwürdiger!«
Moon gestattete sich ein dünnlippiges Lächeln.
»Inspektor!«
Inspektor Merryweather stand auf und schüttelte
Moon herzlich die Hand. »Eine Freude, Sie wiederzusehen. Aber ich würde mir
wünschen, dass wir eines Tages unter glücklicheren Umständen zusammenkommen!«
Nachdem Mrs Grossmith sich diskret in ihr
Schlafzimmer zurückgezogen hatte, holte Moon eine Whiskyflasche und zwei Gläser
hervor, setzte sich seinem Gast gegenüber und goss ihnen beiden je einen
großzügigen Schluck ein. »Ich nehme an, dies ist ein geschäftlicher Besuch?«
»Ich fürchte ja. Und ich muss mich für die späte
Stunde entschuldigen, aber ich bin mit meiner Weisheit am Ende.«
»Sie wollen damit sagen, dass Sie einen Fall für
mich haben?«
»Sie werden ja die Schlagzeilen gesehen haben,
oder?«
»Die Honeyman-Sache? Ich bin über Ihren
bedauerlichen Mangel an Fortschritten auf dem Laufenden – und das mit
einiger Enttäuschung, Inspektor. Ich habe gehofft, Sie hätten mittlerweile
etwas aus meinen Methoden
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