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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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einem
neuen Gefüge ohne jede erkennbar planmäßige Anordnung.
    »Werden Sie den Fall übernehmen?«
    Moon nickte geistesabwesend. »Wider mein besseres
Wissen.«
    »Was soll das wieder heißen?«
    »Das soll heißen, dass hier etwas nicht stimmt,
Inspektor. Es soll heißen, dass dies kein gewöhnliches Verbrechen ist, sondern
dass es weitreichendere Bedeutung hat. Dass wir am Rande von etwas Furchtbarem
stehen.«
    Merryweather lachte auf. »Gütiger Himmel, müssen
Sie immer alles so düster sehen?«
    Moon starrte zurück, ohne mit der Wimper zu
zucken, schweigend und ernst, worauf der Inspektor es vorzog, den Mund zu
halten.
    Der Schlafwandler bekam plötzlich einen kindlichen
Gesichtsausdruck und schrieb eine neue Mitteilung:
    FÜRCHTE MICH
    Moon lächelte nicht. »Das solltest du
auch tun«, murmelte er. »Das sollten wir alle tun.«

SECHS
    Die Ermordung Cyril Honeymans war der
dreiundsechzigste Kriminalfall, den Edward Moon zu untersuchen hatte. Es war
der neunzehnte, bei dem er sich der Unterstützung durch den Schlafwandler
erfreuen konnte, und der vierunddreißigste, bei dem er mit Zustimmung von
Merryweather und Scotland Yard als Detektiv tätig wurde.
    Er sollte auch der letzte seiner Laufbahn sein.
    Wie es seine Gewohnheit war, fing er damit an,
sich in die Details des Mordes zu versenken; er nahm den Tatort des Öfteren in
Augenschein, hielt auf den Straßen Ausschau nach Hinweisen, befragte Zeugen und
suchte das Gespräch selbst mit den unergiebigsten Gaffern. Doch trotz seiner
emsigen Sorgfalt trugen seine Bemühungen kaum Früchte. Er hatte den Eindruck,
alle Spuren wären irgendwie ausradiert worden – als ob sie nie existiert
hätten; die Basis seiner Nachforschungen war sauber gefegt und zeigte sich als
blankgewischte Tafel, als tabula rasa. Lange Tage brachte er im Archiv zu, aber
er stieß auf keinen Fingerzeig, fand nicht den Hauch einer Andeutung, die sich
auf die Honeyman-Sache bezog, nichts, was Licht auf das Ableben des Mannes
hätte werfen können.
    Am Ende der ersten Woche besuchten er und der
Schlafwandler – mehr aus Höflichkeit denn in der Annahme, dies könnte
ihnen bei ihren Nachforschungen weiterhelfen – die Eltern des
Dahingeschiedenen. Sie lebten in einem großen Landhaus, meilenweit entfernt von
den letzten Ausläufern der Stadt und von dieser abgeschottet durch etliche
Morgen wohltuenden Grüns.
    Eine Stunde nach ihrem Eintreffen – so lange
hatte man sie in der Eingangshalle warten lassen wie irgendwelche
dahergelaufene Bittsteller – schlurfte ein älter Diener herbei und setzte
sie davon in Kenntnis, dass seiner Herrschaft, die sich allein durch die
Anwesenheit der beiden bereits zutiefst belästigt fühlte, nur ein Besucher
zugemutet werden könne. Der Schlafwandler war gern bereit, auf das Vergnügen zu
verzichten, und so wurde Moon kurz darauf in ein zugiges Schreibzimmer
geleitet.
    Die Honeymans befanden sich am anderen Ende des
Raumes, wo sie hinter einem großen Eichentisch thronten. Keiner von beiden
erhob sich, als Moon eintrat; sie bedeuteten ihm nur wortlos, in etlichen
Schritt Entfernung Platz zu nehmen. Während er den Zweck seines Besuches
erläuterte – wobei er gezwungen war, wegen des großen Abstands lauter zu
sprechen, als es seine Art war –, zeigten sie keine erkennbare Anteilnahme.
Mister Honeyman, ein graugesichtiger, gequält wirkender Mann im Nadelstreif,
bemerkte sodann, dass man der Polizei bereits alles gesagt habe, was man wisse,
und dass diese Art von Zudringlichkeit ganz gewiss unbefugt und vermutlich
gesetzwidrig sei. Moon stellte klar, dass er nicht die Polizei repräsentiere,
und fuhr fort mit der (einigermaßen dreisten) Bemerkung, dass er eine bessere
Chance als jeder andere habe, den Fall zu einem erfolgreichen Abschluss zu
bringen.
    Darauf wusste der Mann nichts anderes zu entgegnen,
als sich aufzublasen und missbilligend zu räuspern, worauf seine Frau die Sache
übernahm und Moon mit einem Basiliskenblick fixierte.
    »Mein Sohn ist tot. Wir haben all diese Fragen
bereits beantwortet. Mein Gatte und ich sind überzeugt, dass die Polizei alles
in ihrer Macht Stehende tut, um die Angelegenheit zu Ende zu bringen. Und ganz
gewiss benötigen wir nicht die Dienste eines Amateurs!« Dieses letzte Wort
stieß sie mit einigem Nachdruck hervor, so als wollte sie den Versuch machen,
einen störenden Krümel auszuspucken, der sich zwischen den Zähnen verfangen
hatte.
    »Meine Gattin ist eine fromme Frau«, fügte Mister
Honeyman

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