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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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mild hinzu, als würde dies alles erklären.
    Die beiden erhoben sich und marschierten
schweigend aus dem Zimmer. Es lag auf der Hand, dass die Audienz beendet war.
    Der Schlafwandler wartete draußen am Fischteich,
vertieft in eine Konversation mit dem Gärtner über die subtileren Fragen des
fachgerechten Baumschnitts. Der Riese wandte sich Moon zu und schrieb etwas auf
die Tafel.
    WAS NEUES?
    Moon schüttelte verdrießlich den Kopf.
»Nichts«, sagte er und stapfte durch die Büsche davon.
    Später, im Zug, klang seine Stimme
recht verärgert. »Könnte es blinde Willkür gewesen sein? Bösartigkeit ohne
jedes Motiv?«
    Der Schlafwandler hob nur die Schultern.
    »Dennoch erscheint es mir irgendwie geplant. Es
hat etwas Wohlüberlegtes an sich. Einen Anflug von … Theater. Grand
Guignol. Dies ist einfach nicht das Werk eines gewöhnlichen Ganoven.« Er
verstummte, holte sein Zigarettenetui hervor und ging zur Erbitterung seiner
Mitreisenden daran, das Abteil mit dickem, beißendem Rauch zu erfüllen.
    Tags darauf waren Moon und der
Schlafwandler zu einer Abendgesellschaft geladen.
    Die Gastgeberin war Lady Glyde, eine geschätzte
Gönnerin aus den Anfangszeiten des Theaters und jene Frau, der Moon
weitestgehend seine Einführung in die vornehme Gesellschaft zu verdanken hatte.
Ihr Domizil in Pall Mall war eine widerlich protzige Angelegenheit, ein Schrein
des Geldes und der Geschmacklosigkeit – ein Labyrinth ineinander übergehender
Räumlichkeiten, die ungeachtet ihrer beträchtlichen Ausmaße heute abend
gesteckt voll mit Gästen waren.
    Ein Diener nahm Moon und dem Schlafwandler die
Mäntel ab und führte sie durchs Gewühl in den Salon. Dort quälte sich ein
Streichquartett durch irgendeine Barocksonate, die in der lautstarken
Konversation der Anwesenden, dem Geperle artigen Gelächters, dem Klingeln
angestoßener Gläser und all den übrigen Geräuschen menschlicher Heuchelei
nahezu unterging.
    Der Diener blieb in der Tür stehen und verkündete
mit dem gewichtigen Ernst eines Pastors bei der Verabreichung der
Sterbesakramente: »Mister Edward Moon und der Schlafwandler.«
    Der Lärm legte sich für einen Moment, als die
Köpfe herumfuhren, um ein Auge auf die Neuankömmlinge zu werfen. Moon –
einst gefeierter Gast auf den besten Soireen von London – bot sein
hinreißendstes Lächeln auf, nur um zu erleben, dass ihn die Anwesenden mit
einem kurzen, glasig-gleichgültigen Blick bedachten, bevor sie wieder zu ihren
Unterhaltungen zurückkehrten, als hätte nichts stattgefunden, dem man
irgendeine Bedeutung zumaß. Vor zehn Jahren wären Dutzende auf ihn zugestürzt,
hätten sich vorgedrängt, um die ersten zu sein, die ihn begrüßten, seine Hand
zu schütteln oder ihm auf der Stelle ein Getränk zu holen. Viele hätten ihn um
ein Autogramm gebeten. Heute hingegen regte sich nicht mehr als ein dürftiges
Aufflackern flüchtigen Interesses, ehe ihn die Herde wieder fallenließ.
    Der Diener drückte den Neuankömmlingen Gläser in
die Hand und verschwand, um die beiden der wetterwendischen Gnade der Masse
auszuliefern. Der Schlafwandler stieß Moon warnend in die Seite, als sich eine
rundliche Dame mit streitbarer Kinnpartie den Weg zu ihnen bahnte.
    »Mister Moon!«
    Der Magier erhob die Stimme, um den Krawall zu
übertönen. »Lady Glydel«
    Schließlich hatte sie es geschafft, zu den beiden
durchzukommen, und drückte Moons Hand mit der krampfhaften Hartnäckigkeit einer
Ertrinkenden. »Edward«, japste sie, »also ich bin ganz sicher: Die Hälfte
dieser Leute kenne ich überhaupt nicht!«
    Moon lachte wohlerzogen, und selbst das Gesicht
des Schlafwandlers verzog sich zu einem pflichtschuldigen Grinsen.
    »Haben Sie schon etwas zu trinken?«
    »Ja, vielen Dank, Madam.«
    Sie sah neugierig zum Schlafwandler hoch. »Nehmen
Sie immer Milch?«
    Er nickte.
    »Kommen Sie mit«, sagte sie, »es ist jemand da,
den Sie unbedingt kennenlernen müssen.« Und schon warf sie sich zurück ins
Gedränge, im Schlepptau ihre widerstrebende Begleitung. »Arbeiten Sie
augenblicklich an einem Fall?«, rief sie über ihre Schulter nach hinten.
    Moon verriet es ihr.
    »Tatsächlich?« Sie schien ehrlich interessiert.
»Ich habe den Eindruck, dass die Zeitungen von nichts anderem mehr schreiben!
Dieser Fall muss eine große Herausforderung sein, selbst für Sie. Sind Sie
einer Lösung schon nahegekommen?«
    »Gegenwärtig blicke ich noch nicht durch«, gestand
Moon. »Ich habe noch immer keinen Verdächtigen.«
    »Also,

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