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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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Pause.
    »Nun?« Moon war nicht in Stimmung für Spielchen.
    Merryweather schluckte. »Es gab einen weiteren
Vorfall.«

SIEBEN
    Während die Kutsche zurück in die Stadt
ratterte, erklärte der Inspektor alles.
    »Wie hieß er?«, fragte Moon. Er schien wieder
hellwach und voller Tatkraft, wohingegen sich der Schlafwandler, ermüdet von
einer Nacht, die ihn arg mitgenommen hatte, in ein wohliges Dahindösen gleiten
ließ.
    »Der Name des Opfers ist Philip Dunbar. Wie
Honeyman das Einzelkind einer vermögenden Familie, ein Müßiggänger und Verschwender.
Und genau wie Honeyman fiel auch er vom Turm.«
    »Derselbe Schauplatz?« Wütend ballte Moon die
Fäuste.
    »Dunbar hatte Glück.«
    »Glück? Inwiefern?«
    »Er hat überlebt, Mister Moon. Er hat überlebt.«
    Philip Dunbar lag im Sterben. Er mochte
einst ein gut aussehender Mann gewesen sein, doch nun war dies nicht mehr
feststellbar: Mit eingeschlagenen Zähnen und zertrümmertem Gesicht wand und
krümmte er sich hilflos auf dem Bett, dessen Laken bereits steif war von Blut, Schweiß
und Urin. Er glich mehr einem zerschmetterten Tier als einem jungen Menschen,
dessen ganzes Leben noch Stunden zuvor angenehm und problemlos vor ihm gelegen
hatte.
    »Wie lange hat er noch?«, fragte Moon.
    »Der Doktor sagt, es könnte jeden Moment zu Ende
sein«, flüsterte Merryweather. »Eigentlich ist es ein Wunder, dass er überhaupt
noch am Leben ist.«
    Unverständliches vor sich hinmurmelnd bäumte sich
Dunbar auf.
    »Der arme Teufel ist im Delirium. Soweit wir ihn
verstehen konnten, wurde er von irgendeinem Tier angegriffen. Eine Art Affe
nannte er es, dessen Gesicht mit Schuppen bedeckt gewesen sei.«
    »Mit Schuppen?«
    »Die Ärzte haben ihm eine ordentliche Dosis
Morphium verabreicht. Da kann man es ihm nicht ankreiden, wenn seine Phantasie
mit ihm durchgeht.«
    »Sonst noch etwas?«
    »Er redet immer wieder von seiner Mutter. Sagte,
er hätte sie gesehen.«
    »Seine Mutter?« Moon sah den Polizeiinspektor
verblüfft an.
    »Der erste Mensch, nach dem ein Mann ruft, wenn er
in einer solchen Lage ist, denke ich.«
    Dunbar schrie wieder auf, und diesmal kamen seine
Worte deutlicher: »Gott sei mit euch!«
    »Wie?« Moon schien beunruhigt. »Was war das?«
    Zuckend und bebend versuchte der Mann sich
aufzusetzen. »Gott sei mit euch«, murmelte er. »Gott sei mit euch.« Ein
schwaches Stöhnen entrang sich seiner Kehle, und er fiel zurück – stumm,
aber immer noch atmend. Doch der Faden, an dem sein Leben hing, war ausgefranst
und beinahe durchgescheuert.
    Merryweather seufzte. »Es ist hoffnungslos, er ist
schon fast hinüber. Aber je früher es vorbei ist, desto besser für ihn.«
    Moon drehte sich um und ging weg. »Ich möchte es
sofort erfahren, wenn er stirbt.«
    »Sie sollten das nicht persönlich nehmen!«, wandte
der Inspektor ein.
    »Es gibt da ein gewisses Muster, Inspektor.
Weshalb nur kann ich es nicht erkennen?«
    Draußen döste der Schlafwandler noch immer in der
Droschke. Oben auf dem Bock saß frierend der Kutscher.
    »Fahren Sie uns nach Hause.«
    Der Mann nickte.
    »Inspektor?«, rief Moon, ehe sich die Kutsche in
Bewegung setzte.
    »Ja, Mister Moon?«
    »Ich möchte Honeymans Leichnam sehen.«
    »Bedaure, die Familie ließ ihn letzte Woche
einäschern.«
    »Einäschern?«
    »Tut mir leid.«
    Moon runzelte die Stirn. »Ich setze mich demnächst
wieder mit Ihnen in Verbindung.«
    »Es ist Ihnen doch klar, dass wir alldem Einhalt
gebieten müssen!«, fügte Merryweather eindringlich hinzu. »Es muss ein Ende
haben!«
    Moon gab dem Kutscher ein Zeichen, dass er
losfahren sollte. »Geben Sie mir Zeit«, rief er zurück. »Geben Sie mir ein
wenig mehr Zeit!«
    Etwa eine Stunde, nachdem Merryweather
ihm einen raschen Tod gewünscht hatte, verschied Philip Dunbar unter
unerträglichen Qualen, brüllend bis zu seinem letzten Augenblick.
Bedauerlicherweise bestand Moons Reaktion darin, sich wiederum dem Drang nach
Verderbtheit zu ergeben, und zwei Tage später war er in Mrs Puggsleys
Freudenhaus zugange.
    Köstlich ermattet lag er ausgestreckt auf einem
Sofa im Empfangssalon, einen hauchdünnen Damenmorgenrock gerade so weit über
sich gebreitet, dass der Sittsamkeit Genüge getan war. Mina, das Mädchen mit
dem Vollbart und der verkümmerten Gliedmaße auf der Brust, steckte ihm einen
brennenden Zigarillo zwischen die Lippen und flatterte geziert aus dem Salon.
    Die Kupplerin selbst rieb sich erfreut die Hände.
»Ich darf doch annehmen, dass Mina sich als

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