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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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einfach an allem
hochkriechen, sagten sie dort. Deswegen nennen sie ihn auch
›Fliegenmensch‹ – und weil er eben so komisch aussieht.«
    »Beschreibe ihn!«
    »Er ist schrecklich anzusehen, Sir! Mit diesen
Schuppen auf dem ganzen Gesicht …«
    »Schuppen? Bist du sicher?«
    Clara nickte lebhaft.
    Moon sprang auf. Ohne das geringste Schamgefühl zu
zeigen, schleuderte er das Negligé zur Seite und kleidete sich vor den
ausschließlich weiblichen Anwesenden an. »Wo befindet sich dieser Jahrmarkt?«
    »Ist das wichtig?«, erkundigte sich Clara.
    »Wichtiger als du dir vorstellen kannst«,
antwortete er, während er mit den Manschettenknöpfen kämpfte.
    »Auf der Südseite des Flusses. Eine Meile oder so
hinter Waterloo.«
    Moon dankte ihr und rannte in Richtung Ausgang.
    Mrs Puggsley erhob sich wackelig. »Es ist uns
immer ein Vergnügen, Mister Gray! Dürfen wir Sie bald wieder erwarten?«
    »Darauf können Sie sich verlassen!«, rief Moon
zurück. Er lief aus dem Haus, rannte zurück zur Goodge Street und hielt die
erste Droschke an, die er erblickte, um sich eiligst zum Albion Square bringen
zu lassen.
    »Nun«, sagte Mrs Puggsley, als sie sich
mit feister Schwerfälligkeit in ihren Lehnstuhl zurückbewegte, »zumindest einen
Kunden konnten wir zufriedenstellen, nicht wahr?«
    Moon sauste zur Tür des Theaters des
Unglaublichen, vor der sich günstigerweise ein Gassenjunge herumtrieb. »He,
Bürschchen!«, rief Moon.
    Das Kind, ein zerlumptes, unterernährtes Kerlchen,
sah hoch. »Ja, Sir?«
    »Du bekommst einen Sovereign von mir, wenn du
diese Botschaft zu Scotland Yard bringst.« Er kritzelte eine Nachricht auf ein
Blatt Papier und reichte es dem Jungen. »Und übergib es einem Mann namens
Merryweather persönlich. Hast du das verstanden?«
    »Einen Sovereign?«, fragte der kleine
Herumtreiber.
    »Zwei, wenn du schnell bist. Also los jetzt!«
    Es brauchte keine weitere Aufforderung; im
nächsten Moment war der Junge in der Dunkelheit verschwunden.
    Speight murrte schlaftrunken, als Moon an ihm
vorbei die Stufen zu seiner Wohnung hinabstürmte.
    Mrs Grossmith bereitete sich soeben ihren
Schlummertrunk, als Moon in die Küche stürzte. »Wieder ein wenig spazieren
gewesen?« Ihre Stimme troff vor Missbilligung.
    Moon ignorierte sie. »Wo ist der Schlafwandler?«
    »Er ruht, Sir. Schon seit drei Stunden.«
    »Dann müssen wir ihn wecken«, rief Moon und lief
zum Schlafzimmer.
    »Ist etwas passiert?«, fragte die Haushälterin,
war aber nicht überrascht, als jegliche Antwort ausblieb.
    Moon rüttelte seinen Freund wach. »Wir haben
ihn!«, schrie er. »Wir haben unseren Mann!«
    Eine halbe Stunde später standen Moon,
Mrs Grossmith und der Schlafwandler im unerbittlich herab stürzenden Regen vor
den Stufen des Theaters. Speight torkelte herbei, um nachzusehen, wodurch diese
ganze Aufregung verursacht wurde. »Was ist denn los?«, fragte er. Aber niemand
beachtete ihn.
    »Das ist keine Nacht, um draußen zu sein!«,
lamentierte Mrs Grossmith.
    »Wir haben keine andere Wahl«, entgegnete Moon.
    »Wohin wollen Sie denn überhaupt zu dieser
unchristlichen Stunde?«
    Doch noch ehe jemand antworten konnte, ratterte
eine vierrädrige Kutsche über den Albion Square, blieb vor dem Theatereingang
stehen und spuckte einen vergrämt wirkenden Merryweather und zwei bullige
Polizisten in Zivil aus.
    »Ich hoffe für Sie, dass Sie recht haben«, sagte
der Inspektor zu Moon. »Sie haben mich aus dem Tiefschlaf geholt!«
    Der Schlafwandler nickte voll bleiernem Mitgefühl.
    »Fahren wir los, ehe dieses Wetter noch schlechter
wird. Wenn es stimmt, was Sie behaupten, dann wird das
der
Fang meiner
Laufbahn!«
    »Habe ich Sie je enttäuscht, Inspektor?«
    Möglicherweise war es nicht das schlechteste, dass
Merryweathers Antwort von Wind und Regen verschluckt wurde.
    Während die Kutsche den Albion Square verließ,
gingen Mrs Grossmith und Speight trübselig zurück zur Treppe –
kopfschüttelnd in einem Moment unerwarteter Eintracht. Der Vagabund ließ sich
stoisch auf einer Stufe nieder, worauf Mrs Grossmith plötzlich Gewissensbisse
verspürte.
    »Mister Speight? Es ist eine kalte Nacht. Darf ich
Ihnen ein wenig heiße Fleischbrühe anbieten?«
    Er nickte dankbar, rappelte sich mühsam wieder
hoch, und dann zogen sich die beiden in die barmherzige Wärme von Mrs
Grossmiths Küche zurück.
    Als die Kutsche endlich beim
Wanderzirkus eintraf, schüttete es noch immer in Strömen – und was es noch
schlimmer machte, war der

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