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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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dicke Nebel, der sich gerade auf die Straßen
herabsenkte, was selbst der harmlosesten Szenerie einen unheimlichen,
bedrohlichen Anstrich verlieh.
    Die Schausteller hatten sich etwa eine Meile
westlich von Waterloo niedergelassen und bevölkerten ein kleines Stück
unbebautes Heideland, das sich an eine Reihe Wohnhäuser anschloss. Dahinter, in
einiger Entfernung, stand eine Kirche.
    Der Jahrmarkt selbst bestand aus nicht mehr als
einem Dutzend Wohnwagen, die mitten auf dem Gelände einen Kreis bildeten. An
einigen von ihnen waren Schilder und Tafeln angebracht, die Wettkämpfe, Spiele
und Kuriositäten versprachen, aber alles war schon dunkel und fest verschlossen
für die Nacht. Die meisten Bewohner der Wagen hatten sich zur Ruhe begeben, nur
zwei ungepflegte, unrasierte Männer hockten noch lustlos an einem dürftigen,
funkenspritzenden Feuerchen. Das jammervolle Wehklagen einer billigen Flöte,
nahezu verschluckt vom Regen, zog über das Lager.
    Als die Detektive auf die beiden zugingen, blickte
einer von ihnen hoch; Streitlust blitzte in seinen Augen auf. »Was wollt ihr?«,
fragte er. Von seinem linken Ohr baumelte ein großer Metallring von der Art,
wie sie gemeinhin von Rindern an der Nase getragen wird.
    Merryweather – seit langem gewohnt, mit
Menschen dieser Schicht umzugehen – zog es vor, seinen Berufsstand
unerwähnt zu lassen, und erklärte nur, zwecks Übergabe einer gewissen Summe im
Austausch gegen gewisse Informationen den Eigentümer des Unternehmens sprechen
zu wollen. Der Mann mit dem Ohrring warf dem Inspektor einen misstrauischen
Blick zu, stand aber dennoch auf und schlurfte in den Nebel davon. Der
beherztere der beiden Polizisten in Zivil – Moreland mit Namen –
machte den unbedachten Versuch, mit dem verbleibenden Zigeuner ein Gespräch zu
beginnen, was jedoch mit einer brüsken Handbewegung zurückgewiesen wurde.
    Nach geraumer Zeit tauchte der Direktor auf und
der Nebel musste in der Zwischenzeit noch dichter geworden sein, denn sein
Näherkommen kündigte sich durch nichts an: Er tauchte aus dem Nichts auf und
stand plötzlich dicht am rechten Ellbogen des Schlafwandlers. Er musterte den
Hünen wie ein Bauer, der einen Bullen auf dem Viehmarkt begutachtet. »Solltest
du nicht eigentlich bei uns auftreten?«, fragte er ihn dann.
    Ein gerissener kleiner Schurke mit einem
Rattengesicht, der sich als Mister King vorstellte. »Was kann ich für Sie tun,
Herrschaften? Muss ja etwas verteufelt Wichtiges sein, wenn es Sie mitten in
der Nacht und noch dazu bei solchem Wetter hier heraus treibt.«
    »Wir suchen nach einem Mann«, erklärte
Merryweather.
    »Gibt viele Männer hier«, wieherte King hämisch.
    »Er ist bekannt«, schaltete sich Moon ein, »unter
der Bezeichnung ›Fliegenmensch‹.«
    Ein schlauer, argwöhnischer Ausdruck legte sich
über die unangenehmen Züge des Mannes. »Aha, hinter der Fliege sind Sie her.
Und was hat er diesmal wieder angestellt?«
    »Was bringt Sie auf den Gedanken, dass er etwas
angestellt haben könnte?«, fragte Moon behutsam.
    »Oh, er bringt sich immer wieder in
Schwierigkeiten. Ein munteres Kerlchen, der Bursche.« Kings Zunge schoss
hervor, um seine Unterlippe zu befeuchten. »Sehr aufgeweckt.«
    »Können wir ihn sprechen?«
    Der Direktor hob die Schultern. »Ich möchte den
Jungen ungern wecken, er hat einen großen Tag vor sich. Da er doch eine unserer
Hauptattraktionen ist, Sie verstehen.«
    Merryweather holte seine Brieftasche hervor und
zog eine Fünfpfundnote heraus. »Ich werde verdoppeln, wenn Sie uns zu ihm
führen.«
    King machte eine schleimige Verbeugung. »Folgen
Sie mir, meine Herren. Bleiben sie dicht hinter mir, dieser Nebel kann ganz
schön tückisch sein.«
    Sie hatten jeden Grund, seine Warnung zu befolgen,
denn der Nebel hatte sich zu einer Londoner Spezialität entwickelt, welche die
Sicht auf kaum mehr als einen Schritt beschränkte. Die Feuchtigkeit griff
gierig nach ihnen, wühlte sich hoch und fing sich in den Kleidern, von wo aus
sie kalt und klamm bis an die Haut drang. Als der Schlafwandler erschauerte,
legte Moon ihm die Hand auf den Arm.
    »Ich weiß, mein Alter«, sagte er. »Tut mir leid.«
    King führte sie zu einem kanariengelben Wohnwagen,
dessen Farbe abblätterte und der etwas außerhalb des Kreises seiner Kollegen
abgestellt war – der Paria der Sippe. Als sie näher kamen, war auf der
Seitenwand des Wagens die Aufschrift DER FLIEGENMENSCH zu erkennen und daneben
ein seltsames aufgemaltes Symbol: eine

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