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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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zufriedenstellend erwiesen hat,
nicht wahr?«
    »Ganz außerordentlich! Sie ist zu meiner Favoritin
geworden.«
    Im Salon saßen noch drei weitere. Mädchen –
alles frühere Favoritinnen –, und bei Moons Bemerkung setzten sie betrübte
Mienen auf oder verzogen empört das Gesicht. Eine von ihnen, ein
Stecknadelköpfchen – ein leicht zurückgebliebenes Geschöpf namens
Clara –, schlich unterwürfig zu Moon und fing an, ihm sanft über den
Nacken zu streichen. Der Magier warf ihr ein paar Münzen zu, und sie hüpfte
glücklich davon.
    »Heute gehen die Geschäfte wohl ziemlich
schleppend, wenn so wenige Ihrer Mädchen bei der Arbeit sind«, sagte er.
    »Ganz recht, Sir, ganz recht! Sie waren unser
erster Freier heute Abend! Aber eigentlich geht das Geschäft schon die ganze
Woche schleppend.«
    »Tatsächlich?« Moon machte einen erfolglosen
Versuch, Rauchringe zu produzieren – sehr zur Erheiterung einer der
Frauen, einem graugesichtigen Wesen mit einem schmerzhaft aussehenden
Hautleiden und Flossen statt Händen. Mrs Puggsley schalt sie leise aus. »Mister
Gray« zählte zu den Stammkunden und durfte nicht offen verspottet werden.
    »Aber ganz gewiss wird bald wieder mehr
Betriebsamkeit herrschen.«
    Mrs Puggsley schüttelte ihre ganze massive Statur,
was vermutlich als Achselzucken zu verstehen war. »Erst wenn das Wandervolk
wieder weg ist«, seufzte sie, und die Mädchen murmelten zustimmend.
    Moon setzte sich auf, zog das Negligé zurecht und
drückte den Zigarillo aus. »Wandervolk?«, fragte er.
    Ich machte Moon einmal Vorhaltungen,
dass seine Besuche in Mrs Puggsleys Bordell die verwerfliche Entgleisung eines
ansonsten mehr oder weniger moralischen Charakters darstellten – dass die
perverse Anziehungskraft, die diese armen, ausgestoßenen Missgriffe der Natur
auf ihn ausübten, eine Schwäche war, die gänzlich unter seiner Würde lag.
Darauf entgegnete er, diese Kontakte wären Indiz und Auswirkung eines
wissbegierigen Geistes, dem der Sinn nach Erfahrungen mit dem Unbekannten
stand, und – als weitaus überzeugenderes Argument – dass Mrs
Puggsleys Haus für sich allein genommen nichts Schimpfliches, sondern nur das
Symptom einer ungerechten Gesellschaft sei. Mrs Puggsley, so wandte er ein,
böte eine Zufluchtsstätte für diese Mädchen aus einer Welt, die andernfalls nur
Hass und Abscheu für sie übrig hätte.
    Was die Gesellschaft betraf, so hatte er natürlich
recht. Es war
unsere Gesellschaft
und nicht Mrs Puggsley, die diese
verletzlichen Frauen in ihre erniedrigende Lage zwang. Mir scheint, ich machte
bereits eine Bemerkung des Inhalts, dass ich mein Leben dafür geben würde,
diese Gesellschaft zu verändern, sie zu veredeln und zum Besseren zu wandeln.
Doch wie auch immer es um Mrs Puggsleys wohltätige Menschenliebe bestellt war,
eines ist sicher: In jener Nacht lieferte sie den Schlüssel zu den Morden an
Honeyman und Dunbar.
    »Erzählen Sie mir vom Wandervolk«,
sagte Moon.
    Eines der Mädchen kicherte.
    »Es sind Schausteller«, erklärte Mrs Puggsley.
»Ein umherziehender Vergnügungspark. Hauptsächlich Karusselle und Kuriositäten.
Aber einige ihrer Missgeburten sind einer Nummer nebenbei keineswegs abgeneigt.
Und ich verhehle nicht, dass sie meinem Geschäft schaden.«
    »Wie sehen sie aus?«
    Mrs Puggsley ächzte. »Sie haben alles mögliche da
unten – Wassernixen und Zwerginnen und ein Mädchen, das mit den Augen
Luftballons aufblasen kann. Wie sollten wir damit konkurrieren können?«
    Mina kam in den Salon zurück. »Wir sollten es
überhaupt nicht versuchen«, sagte sie, während sie sich zerstreut mit einem
Kamm durch den Bart fuhr. »Es ist eine wahre Schande, wie sie sich
rücksichtslos in unser Geschäft hineingedrängt haben.« Sie ließ sich neben Moon
nieder, gab ihm einen flüchtigen, leidenschaftslosen Kuss auf die Wange und
fuhr mit der Entwirrung ihres Gesichtsschmucks fort.
    Moon bemerkte es kaum. »Wie lange sind diese Leute
schon hier?«
    »Es wird wohl einen Monat her sein, dass sie
angefahren kamen.«
    »Gibt es dort auch Akrobaten? Turner?
Sprungartisten? Männer, die in der Lage wären, an Gebäuden hochzuklettern?«
    »Das wüsste ich nicht«, entgegnete Mrs Puggsley
von oben herab. »Ich habe keinerlei Neigung, derartige Örtlichkeiten zu
besuchen.«
    Clara, das Stecknadelköpfchen, meldete sich zu
Wort. »Aber ich war dort«, gestand sie. »Ich habe auch diesen Mann gesehen, der
einen Kirchturm hochklettert und auf der Spitze tanzt! Er kann

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