Das Alexandria-Komplott
stimmte Redfern zu. »Jedenfalls war das bis heute die Meinung der Historiker. Doch wenn das, was ich gerade gelesen habe, stimmt, dann sind die wertvollsten Stücke dieser Sammlung nicht für immer verloren. Sie wurden irgendwo versteckt.«
Lily war verwirrt. »Sie existieren heute noch? Wurden sie vor dem Brand an Bord der Serapis aus Alexandria herausgeschmuggelt?«
»Wenn man den Worten auf den Tafeln glauben darf, ja.«
Auf Pitts Miene spiegelte sich Zweifel. »Die Serapis könnte lediglich mit einem winzigen Teil der Sammlung entkommen sein. Das paßt nicht zusammen. Das Schiff ist zu klein. Weniger als vierzig Tonnen Tragfähigkeit. Die Mannschaft könnte ein paar tausend Schriftrollen und einige Statuen im Frachtraum untergebracht haben, doch keineswegs die Menge, von der Sie sprechen.«
Redfern warf Pitt einen respektvollen Blick zu. »Sie sind sehr scharfsinnig. Mit Schiffen der Antike kennen Sie sich gut aus.«
»Kommen wir noch einmal auf das Auftauchen der Serapis an der Küste Grönlands zurück«, drängte Pitt, während Redfern die entsprechenden Seiten von Lilys Text in die Hand nahm und ordnete.
»Ich will Ihnen keine wörtliche Übersetzung des Lateins aus dem vierten Jahrhundert zumuten. Das wäre zu verwirrend. Statt dessen werde ich versuchen, den Text in die Umgangssprache zu übertragen. Der erste Eintrag datiert, entsprechend dem Julianischen Kalender, vom 3. April 391. Der Bericht beginnt folgendermaßen:
Ich, Cuccius Rufinus, Kapitän der Serapis , in Diensten des Nicias, eines griechischen Reeders aus der Hafenstadt Rhodos, habe einen Transportvertrag mit Junius Venator aus Alexandria abgeschlossen. Von der Reise heißt es, daß sie lange dauern und anstrengend sein wird. Venator will unser Ziel nicht preisgeben. Meine Tochter Hypatia begleitet mich auf dieser Fahrt, und ihre Mutter wird angesichts der langen Trennung sehr beunruhigt sein. Aber Venator bezahlt den zwanzigfachen Preis unserer normalen Frachtrate – ein Vermögen, von dem Nicias ebenso profitieren wird wie ich selbst und die Mannschaft.
Die Ladung wurde nachts unter schwerer Bewachung und in aller Heimlichkeit an Bord gebracht. Während des Ladens mußten meine Mannschaft und ich uns bei den Docks aufhalten. Vier Soldaten unter dem Kommando des Centurio Domitius Severus haben Befehl erhalten, auf dem Schiff zu bleiben und mit uns zu segeln.
Die ganze Sache gefällt mir nicht, Venator hat jedoch bereits den vollen Preis für die Reise bezahlt, und ich kann von meinem Vertrag nicht zurücktreten.«
»Ein ehrlicher Mann«, kommentierte Pitt. »Kaum zu glauben, daß er die wahre Bedeutung seiner Ladung nicht entdeckte.«
»Später kommt er noch drauf. Die nächsten paar Zeilen sind ein Reisebericht. Er erwähnt auch den Namenspatron seines Schiffes. Ich lasse diesen Abschnitt aus und springe zu dem Punkt, an dem sie zum erstenmal einen Hafen anlaufen.
Ich danke unserem guten Gott Serapis, der uns eine ruhige und schnelle Reise von vierzehn Tagen nach Neu-Karthago schenkte. Dort lagen wir fünf Tage vor Anker und nahmen viermal soviel Vorräte an Bord wie normal. Hier stießen wir auch zu den übrigen Schiffen von Junius Venator. Die meisten haben eine Tragfähigkeit von über zweihundert Tonnen, einige nahezu dreihundert. Zusammen mit Venators Flaggschiff zählen wir sechzehn Schiffe. Unsere winzige Serapis ist das kleinste Schiff der Flotte.«
»Eine Flotte«, rief Lily. Ihre Augen blitzten, ihr ganzer Körper war angespannt.
»Sie haben die Sammlung tatsächlich in Sicherheit gebracht.«
Redfern nickte begeistert. »Einen verdammt großen Teil jedenfalls. Zwei- bis Dreihunderttonner waren in dieser Zeit große Handelsschiffe. Wenn man zwei Schiffe für den Transport von Männern und Vorräten abrechnet und bei den übrigen zwölf Schiffen eine durchschnittliche Tonnage von zweihundert Tonnen annimmt, bekommen wir eine Gesamtkapazität von zweitausendachthundert Tonnen für die gesamte Flotte. Das war genug, um ein Drittel des Bibliothekbestands und einen großen Teil der Kunstschätze des Museums zu transportieren.«
Pitt bat um eine Pause. Er ging zum Tresen der Kombüse hinüber und brachte zwei Tassen Kaffee mit. Eine bot er Lily an und ging dann zurück, um noch etwas zu essen zu besorgen. Er blieb stehen. Im Stehen konnte er besser nachdenken, sich besser konzentrieren.
»Bis jetzt ist die umfangreiche Rettungsaktion der Bibliothek nur Theorie«, gab er zu bedenken, »ich habe noch nie etwas davon
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