Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel
Verbindung betrachtete sie ihn als gesellschaftlichen Freund.
»Was machst du denn hier?« Während sie auf ihn zuging, betrachtete sie ihn genauer. Seine Schultern waren breit und kräftig, sein Bauch für einen Mann seines Alters straff und sein Gesicht das eines verwitterten Jungen. Das Grau, das sich in sein dichtes Haar eingeschlichen hatte, verbesserte sein Erscheinungsbild nur zusätzlich.
Sie trafen sich in der Mitte des Flurs. Er wirkte etwas verlegen. »Ich hatte einen Termin – Routineuntersuchung. Was du hier machst, sehe ich ja«, sagte er und zeigte auf Justin. Er beugte sich vor, legte die Hände auf Helenes Schultern und küsste sie auf die Wange. »Du siehst wie immer blendend aus, hast dich kein bisschen verändert.«
»Danke.« Helene verspürte einen Funken der Hingezogenheit zu dem Mann. »Das ist mein Sohn Justin. Eigentlich waren wir hier, um meine Mutter zu besuchen, aber Justin hat sich unterwegs verletzt.«
Robert streckte den Arm aus und schüttelte dem Jungen die Hand. »Was ist passiert?«, erkundigte er sich.
»Ich bin ausgerutscht. Ist bloß eine Verstauchung.«
Robert richtete ein Lächeln auf Helene, das jungenhaft auf sie wirkte, als suche er ihre Gunst. Sie spürte, wie ihr ein wohliger Schauder über den Rücken lief.
»Du gehst also zu Dr. Brandt, richtig?«, meinte Helene.
»Wir kennen uns schon eine ganze Weile.«
»Inzwischen ist er ziemlich bekannt geworden.«
»Genau wie du«, erwiderte Robert. »Ich sehe dich ständig im Fernsehen.«
»Und du – bist du nicht für die Sicherheit bei der UNO-Konferenz verantwortlich?«
»Meine Firma kümmert sich um spezielle Sicherheitsmaßnahmen für die Stadt – für die Dauer der Treffen. Wir arbeiten dabei seit fast einem Jahr mit der Polizei und dem Heimatschutzministerium zusammen.«
»Warum kommst du nicht zu mir in die Sendung und berichtest darüber?«
»Ich darf nicht über eine laufende Operation reden.«
Helene lächelte. »Nein, aber du kannst drum herumreden. Die Öffentlichkeit muss erfahren, was im Fall eines Angriffs zu tun ist. Mit wie viel Plastik und Klebeband sollte ich mich zu Hause eindecken?«
Robert lachte. »Du bist immer noch die Journalistin, die kein Nein akzeptiert. Aber ich denke, das könnte ich schon machen.«
»Gut. Wie wäre es mit morgen?«
23
Um sechs Uhr morgens strömte Licht durch das Seitenfenster des Backsteinhauses in Harlem und traf Pater David wie ein Leuchtzeichen von Gott. Er öffnete die die Augen und sah auf seinen von Sonnenlicht umhüllten Körper. In der Luft schimmerten Staubpartikel.
Die Heilige Hazel, wie sie mittlerweile genannt wurde, kniete knapp zwei Meter entfernt immer noch im Schatten vor ihrer geliebten Madonna, genau dort, wo er sie in der Nacht zuvor zurückgelassen hatte. Am liebsten hätte er die alte Frau in die Arme genommen, um den Druck von ihren schwachen Knien zu nehmen, aber er wusste, dass der Trost, den sie im Augenblick erhielt, weit größer war als jeder, den er ihr bieten konnte.
Er sank neben Hazel auf die Knie. Auf ihrer Wange bemerkte er das Glitzern einer Träne. Rasch schaute er zur Jungfrau auf; ein einzelner Tropfen löste sich und fiel auf das Tuch unter der Statue. Er wollte losrennen, um etwas zum Auffangen der Flüssigkeit zu holen, doch bevor er sich bewegen konnte, begann die Statue richtig zu weinen. Pater David hob die Hände zum Gebet und schloss die Augen. Bald darauf spürte er eine Hand auf der Schulter, und als er aufschaute, stand die Heilige Hazel lächelnd über ihm.
Es war das erste Mal, dass er sie nicht in Trance sah. Aus ihren Augen sprach ein Friede, der die an ihrer Haut erkennbaren Jahre Lügen strafte. Ihr Körper mochte alt sein, aber ihr Geist war jung – reif, aber frisch und voller Leben.
»Danke, dass Sie gekommen sind, Pater David.«
»Sie kennen meinen Namen?«
»Der Herr kennt die Anzahl der Haare auf Ihrem Kopf, und er liebt sie alle.« Sie warf den Kopf zurück und lachte.
Pater David verdutzte ihre Heiterkeit.
»Was ist?«, fragte Hazel. »Überrascht es Sie, dass ich aus der Gegenwart des Herrn zurückkehre und glücklich bin?«
»Es ist nur ... die Botschaft, die Sie bringen, ist eine Warnung vor großer Gefahr.«
»Die Gefahr ist schon von Anfang an bei uns. Und jeder von uns muss von Anfang an die Wahl treffen, welchem Herrn er dienen will. Wo jemandes Schatz ist, da wird auch das Herz sein.«
»Aber nicht jeder wendet sich von Anfang an dem Herrn zu. Manche lernen ihn erst später
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