Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel
bin. Ich wurde im Studio aufgehalten.« Helene versuchte, sich unbeschwert zu geben. »Wie geht es dir?«
»Verdammt gut, würde ich sagen.«
»Großartig. Ich schätze, du bist fertig zum Aufbruch.« Sie trank den letzten Schluck des Kaffees, den sie an der Straßenecke gekauft hatte, und warf den leeren Becher in den beinahe überquellenden Abfalleimer.
Als die Reste durch Zeitungspapier sickerten, erblickte Helene den Rand der ledergebundenen Bibel, die in dem Eimer lag.
Mit Daumen und Zeigefinger zog sie das Buch unter dem Müll hervor, ging ins Badezimmer und wischte die triefende Bibel mit einem Papiertuch ab. Anscheinend war nur der abgegriffene Einband beschmutzt worden. Als sie die Seiten prüfend durchblätterte, hielt sie bei einer Widmung in ausgebleichter, blauer Tinte inne:
Für meine wunderschöne Claire
Es gibt viele Arten von Liebe: die Liebe Gottes, die Liebe einer Familie, Eigenliebe, die Liebe einer Frau. Ich glaube, meine Liebe zu Dir steht einzig hinter meiner Liebe zu Gott, denn durch Dich habe ich gelernt, mich und Gott noch mehr zu lieben und zu erfahren, was er für die meisten Menschen vorgesehen hat, aber nicht für mich.
Mögen seine Engel über Dich wachen und auf Deinem Weg begleiten.
In ewiger Liebe
David
Darunter folgte eine neue Widmung:
Für meinen liebsten Justin
Mir wurde einst gesagt, in diesem Buch verbirgt sich eine große Bedeutung. Mögest Du die Weisheit besitzen, sie zu entdecken, und die Gabe, sie zu verstehen.
In Liebe
Oma
Helene hielt Claire das Buch hin. »Mom, ist das nicht die Bibel, die du Justin geschenkt hast?«
»Ja, ist sie wohl. Jemand muss sie versehentlich in den Müll geworfen haben.«
Helene steckte die Bibel in ihre rote Hermes Birkin -Tasche. »Weißt du, er hat wirklich ein Gespür für deine Spiritualität. Ich bin sicher, sie wird Justin viel bedeuten. Ich weiß, dass ich mich gelegentlich über Religion lustig mache, aber für ihn ist das eine wichtige Erinnerung an dich.«
»Vielleicht habe ich gar nicht vor, in nächster Zeit abzutreten.«
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Ich weiß genau, was du gemeint hast. Und jetzt lass uns von hier verschwinden, bevor ich mir noch eine neue Krankheit einfange.«
32
Justin schaute aus dem Fenster seines Zimmers und war nur halb überrascht, Samantha im Café auf der anderen Straßenseite sitzen zu sehen, wo sie in ihr Mobiltelefon sprach. Sie hatte zuvor hier angerufen, aber auf Justins Ersuchen hatte Erbie ihr mitgeteilt, dass er nicht da sei. Er wusste, dass Erbie dies nur allzu gern getan hatte – sie mochte Samantha nicht. Auch Justin hoffte, das Mädchen würde verschwinden.
Samantha war erst dieses Jahr neu in diese Schule gekommen. Sie stammte aus Texas. Ihr Vater war im Ölgeschäft, und sie war das mit Abstand am besten entwickelte Mädchen ihres Alters, was sie schamlos mit Stützbüstenhaltern und weiten Ausschnitten betonte. Bei den anderen Mädchen war sie dadurch wenig beliebt. Von ihnen wurde sie als schlampig betrachtet, aber Samantha schien das höhnische Kichern und Getuschel nicht zu stören, wenn sie durch die Gänge lief. Jeder Junge lechzte ihr hinterher, aber sie wollte Justin. Er fühlte sich geschmeichelt. Seine Freunde hielten ihn für verrückt, weil er nicht mit ihr ausging, aber ihn interessierte nur Madeline.
Er warf einen Blick in Claires Zimmer und sog tief die nach Lavendel riechende Luft ein. Zu besonderen Gelegenheiten bügelte Erbie die Laken mit Lavendelwasser. Seit Oma krank geworden war, hatte sie das nicht mehr gemacht. Justin wusste, dass seine Großmutter dadurch gut schlafen würde; sie behauptete immer, der Duft von Lavendel besäße eine beruhigende Wirkung. Justin lachte immer darüber, dass sie ihn schon riechen konnte, sobald sie aus dem Aufzug trat. Sie besaß einen unglaublichen Geruchssinn.
Überall in der Wohnung waren hellrosa Pfingstrosen verteilt, und obwohl sie nicht denselben, eindringlichen Duft zu verströmen schienen, sprach seine Großmutter häufig davon, dass sie als Kind immer glücklich gewesen sei, wenn sie welche gesehen habe.
Justin konnte es kaum erwarten, dass sie nach Hause kam. Er wollte über so Vieles mit ihr reden und ihre Seite der Geschichte dieser neuen Behandlung hören.
Der Pförtner rief an, um eine Besucherin anzukündigen.
»Bitte schicken Sie sie rauf«, sagte Justin vergnügt, setzte sich aufs Bett und schaltete mit der Fernbedienung den Fernseher ein.
Er übersprang einige Nachrichtenkanäle und
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