Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel
darüber freuen, ihn wiederzubekommen.« Immer noch zeigte Claire keine Regung. »Er wird dir sehr dankbar sein. Ich kann es kaum erwarten, ihm den Ring morgen zu bringen.«
»Seit wann isst du so viel Zucker?«, fragte Helene dazwischen.
»Seit ich unsterblich geworden bin«, antwortete Claire sarkastisch, stand vom Tisch auf und kehrte in ihr Zimmer zurück.
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Dr. Cohen fühlte sich hin- und hergerissen zwischen der Hoffnung auf ein Wunder und blanker Ungläubigkeit. So etwas war doch nicht möglich. Er hatte keine Ahnung, weshalb Claire so gut aussah und sich so hervorragend fühlte, aber die Rasanz, mit der ihre »Erholung« vonstatten ging, stand in krassem Widerspruch zu allem, was er in seiner bisherigen Laufbahn als Mediziner erlebt hatte. Und eine völlige Heilung ihres verheerenden Krebses gehörte ins Reich schierer Fantasie. Lange, nachdem der letzte Patient gegangen war, saß er noch immer in seinem Büro und versuchte, sich zusammenzureimen, was in Gottes Namen hier vor sich ging.
Die Blutwerte waren außerordentlich. Es gab keinerlei Anzeichen auf zirkulierende Krebszellen oder auch nur Antikörper dagegen. Wohin waren sie verschwunden? Waren sie plötzlich selbstzerstörerisch geworden?
Er hatte schon von Fällen spontaner Heilung bei Nierenkrebs gehört, sogar mit Melanomen und leichten Lymphoma. Auch einige vage Berichte über einen Rückgang von Lungenmetastasen bei Gebärmutterkrebs hatte er ausgegraben, aber er hatte nichts über etwas Vergleichbares gefunden, wenn sich die Krankheit bereits auf die Leber ausgebreitet hatte oder so aggressiv gewesen war wie in Claires Fall. Es gab eine medizinische Abhandlung, in der Krebsrückgang mit hohem Fieber oder sogar einem Koma in Verbindung gebracht wurde, doch auch davon traf nichts auf Claire zu. Üblicherweise würde man bei einem regelrechten Wunder wie ihr davon ausgehen, dass ursprünglich eine Fehldiagnose vorgelegen hatte oder bereits früher eine Behandlung erfolgt war. Wiederum vermochte nichts davon Claires Fall zu erklären.
Krebs zu haben, glich in gewisser Weise einem Glücksspiel; der Patient trat ein in eine Welt von Überlebensstatistiken, Risikofaktoren, Wahrscheinlichkeitsraten und Prognosen. Selbst wenn bei Claire eine neunundneunzigprozentige Wahrscheinlichkeit bestanden hatte, dass sie innerhalb von vier Monaten an ihrer Krankheit sterben würde, war ihr ein Prozent als Chance aufs Überleben geblieben. Sicher. Dennoch genügte das nicht als Antwort.
Der Arzt rief den Radiologen, Dr. Geiger, zu Hause an. Seine Frau meinte, er wolle sich gerade zum Abendessen setzen, aber Cohen beharrte darauf, dass sie ihn ans Telefon holte, weil es dringend sei.
»Hallo, Al«, begrüßte er seinen Kollegen. »Es tut mir leid, dich beim Essen zu Hause zu stören, aber ich habe dir relativ spät heute eine Frau zur Tomografie geschickt. Ihr Name ist Claire Cummings.«
»Ah ja, ich erinnere mich. Sie ist die Mutter dieser TV-Moderatorin. Wir haben sie doch erst vor ein paar Wochen gescannt, oder?«
»Ja. Konntest du dir die heutigen Ergebnisse noch ansehen?«
Dr. Geiger nahm das Telefon zu seinem Schreibtisch mit und rief die Ergebnisse auf dem Computer auf. Nach etwa einer Minute fragte er: »Ist diese Frau nicht angeblich im Endstadium?«
»Ja.«
Weitere, ausgedehnte Stille setzte ein, während der Radiologe die Unterlagen noch einmal durchsah. »Ich würde sagen, deine Patientin ist kerngesund.«
»Vor drei Wochen hat deine Abteilung eine Tomografie vorgenommen, die inoperablen Krebs gezeigt hat«, sagte Dr. Cohen. »Eine Brust- und Unterleibsuntersuchung hat Knoten in der Brust und mehrere Tumore in der Leber ergeben. Ich habe es hier vor mir.«
»Ich habe auch alle Aufzeichnungen vor mir, Steve. Da muss eine Verwechslung vorliegen. Die Frau letzten Monat war eine wandelnde Tote. Was sagt der Pathologe?«
Steve Cohen wusste, dass Al gerade seine Patientenaufzeichnungen durchging und Namen, Adressen, Geburtsdaten und Sozialversicherungsnummern der beiden Testergebnisse verglich. Es musste zwei Personen mit dem Namen Claire Cummings geben.
»Er sagt dasselbe wie du. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers bei so etwas?«
»Eines Fehlers? Du meinst, am Gerät? Gleich null. Ich sehe mir die Bilder gerade an, Kumpel, da liegt kein Fehler vor.«
»Hast du je zuvor von so etwas gehört?«, fragte Dr. Cohen und spürte, wie sein Herz schneller schlug.
»Bei dieser Art von Krebs? Keine Chance. Ich meine, sicher, spontane
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