Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel
Remissionen kennt man schon ...«
»Ja, aber hast du je selbst einen Fall erlebt?«
»Klar, aber keinen solchen und nie auch nur annähernd so schnell. Hast du sie gefragt, was sie einnimmt?«, wollte Al Geiger wissen.
»Sie will es mir nicht sagen.«
»Da solltest du auf jeden Fall dranbleiben. Und du musst unbedingt einen Bericht für die medizinischen Fachzeitschriften darüber verfassen. Aber ich glaube, ich würde zuerst meinen Broker anrufen. Das wird dir niemand glauben.«
68
»Ich glaube, bei Ihnen liegt ein Fall vollständiger Remission vor«, hatte Dr. Cohen in gemessenem Tonfall gesagt.
Claire hörte die Worte in ihrem Kopf immer und immer wieder, den ganzen Satz, als hätte er ihn von einem Berggipfel gebrüllt, der nun durch die Täler und über die Felder widerhallte. Sie wusste bereits, dass sie die verheerenden, braunen Klümpchen los war, die im Begriff gewesen waren, ihr Leben zu zerstören, wusste es in ihrem tiefsten Innersten. Claire fragte sich, wozu der winzige Nanochip noch in der Lage sein würde.
Als sie ihr Gesicht im Badezimmerspiegel betrachtete, wirkte es auf vage vertraute Weise verändert. Die bedrückkende Blässe war verschwunden. Eingehend musterte sie das Weiß ihrer einst blutunterlaufenen Augen und erkannte eine Klarheit darin, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, vielleicht seit Jahrzehnten. Als sie an ihrer Haut zupfte, stellte sie fest, dass die Fältchen flacher und die Beschaffenheit weicher wirkten. Vielleicht brauchte sie doch kein weiteres Lifting. Es war der Krebs gewesen, der sie verwüstet hatte, und nun, da er weg war, kehrte ihr Glanz zurück. Es schien seltsam für eine Frau, die auf die siebzig zuging, an Glanz zu denken, und dennoch war er vorhanden, ebenso wie der Beginn der in ihre Wangen zurückkehrenden Farbe. Die Erkenntnis verursachte ihr vor Erregung ein regelrechtes Schwindelgefühl. Sie tauchte zwei Finger in eine Dose mit feuchter, duftender Körpercreme und strich sich damit die Brust ein.
Ihr Herz raste vor Aufregung beim Gedanken daran, den Mann wiederzusehen, der ihr das Leben gerettet hatte. Sie konnte Dr. Viviees Eintreffen kaum erwarten, um sich persönlich bei ihm zu bedanken.
Claire schlüpfte in eine schmeichelhaft eng anliegende, schwarze Hose und ihre schwarz bestickten Pantoffel mit über sieben Zentimeter hohen Absätzen, die sie seit Jahren nicht mehr getragen hatte. Sie bedeckten ihre Zehen, die mit dem Alter etwas krumm und arthritisch geworden waren. Claire weigerte sich, eine dieser Greisinnen zu werden, die keine Absätze mehr tragen konnten.
Trotz ihrer inneren Aufgewühltheit wahrte sie äußerlich einen geradezu tranceartigen Anschein. Sie setzte sich aufs Bett und rief bei ihrem Schönheitssalon an. Die Rezeptionistin zeigte sich überrascht darüber, von ihr zu hören und bot ihr an, jemanden zu schicken, der ihr die Haare und die Nägel richten würde, aber Claire teilte ihr mit, dass sie es vorzöge, zu einem Termin in den Salon zu kommen. Nachdem sie aufgelegt hatte, knöpfte sie die schwarze Kaschmirweste zu, die sie angezogen hatte.
Geistig stellte sie eine Liste all der Dinge auf, die sie nun tun würde. Sie würde sich das graue Haar wieder in einem warmen Kastanienbraun färben lassen, dazu ein paar blonde Strähnen, um das Ganze aufzuhellen, danach eine Maniküre mit einem natürlichen Weißton und eine Pediküre mit heller Melonenfarbe. Sie würde sich eine Gesichtsbehandlung gönnen, anschließend eine neue Aufmachung kaufen und sie zum Mittagessen im 21 tragen. Und sie würde sich einen neuen Mann suchen – oder zumindest Sex haben. Sie vermisste den Sex.
Claire beschloss, ihre geistige Liste weiterzuführen und für jeden Tag ihres Lebens um neue Punkte zu ergänzen. Solange sie die Liste hatte, würde sie leben, weil sie, solange sie sich lebendig fühlte, nie aufhören würde, Neues darauf zu setzen. Sie würde ihr altes Ich zu einer jüngeren und pulsierenderen Version umkrempeln. So würde der Rest ihres Lebens aussehen. Alles, was sie zuvor versäumt hatte, weil sie Dinge für andere Menschen tat, würde sie nun für sich selbst tun. Es hörte sich herrlich selbstsüchtig an, und Claire liebte es.
Aber es gab doch noch etwas, das sie für jemand anders tun wollte. Nur, wie bedankte man sich bei jemandem, der einem das Leben gerettet hatte? Kaufte man ihm ein Geschenk? Natürlich. Aber welches? Umarmte und küsste man ihn? Würde ihm das gefallen oder würde er es albern finden? Küsste
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