Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel
gen Himmel erhob und schrie: »Wir wollen Viviee!«
Helene sah Kyle nachgerade ehrfürchtig an. Sie konnte praktisch beobachten, wie die Welle der Erregung über die Menge schwappte, als die ersten Leute aus den hinteren Reihen in den Ruf mit einstimmten, der sich rasch über die Mitte nach vorne ausbreitete. »Wir wollen Viviee! Wir wollen Viviee!«
Die Polizei hielt sich im Hintergrund. Jedes Gedränge zwischen diesen eindeutig kranken Menschen konnte zu schweren Verletzungen führen. Die Beamten suchten die Menge nach Aufrührern ab, Passanten, die sich unter Umständen nur darunter mischten, um Ärger zu verursachen. Ein paar Obdachlose wurden unauffällig herausgefischt, abgesehen davon schien es wenig zu geben, was die Polizei tun konnte, ohne für noch mehr Aufhebens zu sorgen.
Fernsehkameras aller Sender trafen ein, darunter einige, deren Studios sich nur einen Fußmarsch entfernt befanden. Ein gewaltiger Stau hatte sich weit hinab auf der Seventh Avenue gebildet; in einem Bereich von rund zwanzig Häuserblocks standen Autos und Busse vollkommen still.
Fotografen drängten sich um den besten Platz. Reporter eilten mit Mikrofonen in den Händen herbei und stürzten sich auf jeden, den sie dazu bewegen konnten, vor der Kamera ein paar Worte zu sagen.
»Entschuldigen Sie, Ma’am«, sagte eine junge Reporterin zu einer kahlköpfigen Frau. »Warum sind Sie hier?«
»Um das Heilmittel zu bekommen!«, brüllte die Frau über den Lärm der Menge hinweg. »Um das Heilmittel zu bekommen und diesen unglaublichen Mann kennen zu lernen!«
Rings um das Mikrofon scharte sich eine kleine Gruppe.
»Wir wollen sicherstellen, dass dieses Heilmittel an die Öffentlichkeit gelangt!«, rief ein Mann.
»Ich sterbe«, meldete sich lauthals eine andere Frau zu Wort. »Ich brauche keine Genehmigung der Regierung, um zu sterben, also brauche ich auch keine, um zu leben. Ich will diesen Nanochip!«
»Ich bin von der Arbeit weg, um diesen Mann zu sehen«, verriet ein etwa vierzigjähriger Mann mit Anzug und Krawatte. »Ich halte ihn für erstaunlich.«
»Wir alle verdienen eine Chance«, schrie wieder eine andere Frau. »Schenken Sie uns Leben, Dr. Viviee!«
»Niemand hätte das vorhersagen können«, meinte Kyle, während er auf die Monitore starrte. »Das geht über alles hinaus, was ...«
»Das sind rational denkende, geistig gesunde Menschen, die eine Fernsehsendung dermaßen berührt hat, dass sie alles stehen und liegen gelassen haben, um aus ihren Büros oder Wohnungen herzukommen und den Mann zu sehen, der sie retten könnte«, fiel Helene ihm ins Wort. »Das liegt an der Angst vor dem Tod – und dem Versprechen der Unsterblichkeit. Darin sind wir uns alle gleich.«
Was, wenn es wirklich stimmte, fragte sie sich. Was, wenn Viviee tatsächlich Unsterblichkeit zu bieten hatte? Die Auswirkungen überstiegen den Verstand, nicht nur in Bezug auf die medizinische Industrie, sondern auch in Hinblick auf Bevölkerungskontrolle, Lebensmittelversorgung, Trinkwasser – einfach alles.
»Ich muss hinaus.« Der Arzt meldete sich zu Wort und brach den Bann, der Helene und Kyle an die Monitore gefesselt hatte. »Ich muss mit den Leuten reden.« Damit ging er davon.
Kyle schob Helene in seine Richtung.
»Sie gehen nicht alleine«, sagte sie. »Ich begleite Sie.«
83
Sich zur Stoßzeit über die Fifth Avenue zu bewegen, kam beinah dem Ertrinken in einem Meer aus Menschen, Abgase ausstoßenden Bussen und blinkenden Verkehrsampeln gleich, aber Justin wusste, dass er so schneller vorankommen würde als mit einem Taxi. Doch an diesem Tag erwies sich selbst für die Stoßzeit der Verkehr sowohl zu Fuß als auch auf der Straße als außerordentlich schlimm.
In der anschwellenden Masse gehetzter Menschen am Rockefeller Center fühlte er sich wie ein Anzug in einer jener Dampfpressen. Er spähte zur Turmspitze der St.-Patrick-Kathedrale empor. Die Kirche stellte in all ihrer Pracht eine Oase der Ruhe dar, abgesehen von den Touristen, die sich auf den Stufen scharten wie Tauben am Fuß einer gotischen Statue.
Er war fast am Ziel. Nach drei Häuserblöcken würde er die 47 th Street erreichen – einen durchgehenden Block mit etlichen Juwelierständen, hunderte davon in fünfundzwanzig verschiedenen Gruppen – die Diamantenbörse. Dort wusste man alles, was es über Wertgegenstände zu wissen gab, und Justin war überzeugt davon, einen Wertgegenstand bei sich zu haben.
Er betrat eines der Gebäude und ging unter den Neonlichtern
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