Das also ist mein Leben - Chbosky, S: Das also ist mein Leben - The Perks of Being a Wallflower
anderen Büchern vorstellte, wurde es viel leichter. Das hat mir übrigens auch bei dem Versuch geholfen, herauszufinden, was mit mir nicht stimmt. Es hat mir nicht wirklich Antworten gebracht, aber es half, zu wissen, dass schon einmal jemand so etwas durchgemacht hat. Besonders jemand, der vor so langer Zeit gelebt hat.
Außerdem habe ich Mary Elizabeth angerufen und ihr gesagt, dass ich jeden Abend Billie Holiday höre und E. E. Cummings lese.
Aber sie sagte nur: »Zu spät, Charlie.«
Ich wollte ihr sagen, dass es mir gar nicht darum ging, weiter mit ihr auszugehen, sondern dass es mir um die Freundschaft ging, aber mir wurde klar, dass das alles nur noch schlimmer machen würde, also ließ ich es sein.
Schließlich sagte ich einfach: »Es tut mir leid.«
Und das tat es mir auch. Und sie glaubte mir auch, das weiß ich. Aber am Telefon herrschte nur betretenes Schweigen, und da wusste ich, dass es wirklich zu spät war.
Einmal hat sich auch Patrick gemeldet, aber nur, um mir zu sagen, dass Craig ziemlich sauer auf mich sei und ich mich weiter fernhalten sollte, bis sich alles geklärt hatte. Ich fragte ihn, ob er etwas unternehmen wolle, nur er und ich. Er sagte, Brad und seine Familie würden ihn ziemlich beschäftigen, aber wenn er einmal Zeit hätte, würde er anrufen. Bis jetzt hat er das noch nicht.
Ich würde Dir ja vom Ostersonntag mit meiner Familie erzählen, aber ich habe Dir schon von Thanksgiving und Weihnachten erzählt, und da gibt es wirklich keinen so großen Unterschied. Außer vielleicht, dass mein Vater eine Gehaltserhöhung bekommen hat, meine Mutter aber nicht, weil sie für Hausarbeit ja nicht bezahlt wird, und dass meine Schwester aufgehört hat, Bücher über zu wenig Selbstwertgefühl zu lesen, weil sie nämlich einen neuen Freund hat.
Mein Bruder hat uns besucht, aber als ich ihn fragte, ob seine Freundin meinen Aufsatz über »Walden« gelesen
hätte, sagte er Nein – weil sie nämlich mit ihm Schluss gemacht hat, als sie herausfand, dass er sie betrog. Das war schon eine Weile her. Ich fragte ihn, ob er meinen Aufsatz gelesen hätte, und er sagte Nein, weil er zu viel zu tun habe. Er sagte, vielleicht in den Ferien, und er würde sich melden. Bis jetzt hat er das noch nicht.
Also ging ich Tante Helen besuchen, und zum ersten Mal in meinem Leben half auch das nicht. Und ich habe versucht, mich an meine letzte gute Woche zu erinnern, so wie ich es mir vorgenommen hatte, aber auch das half nicht.
Ich weiß, dass ich mir das alles selbst zuzuschreiben habe. Ich weiß, dass ich es verdiene. Ich würde alles tun, um nicht so zu sein. Ich würde alles tun, um es wiedergutzumachen. Und um nicht zu diesem Psychiater zu müssen, der mir etwas von »passiv-aggressiver Störung« erzählt. Und um nicht die Tabletten nehmen zu müssen, die er mir gibt und die meinem Vater zu teuer sind. Und um nicht mit ihm über schlimme Erinnerungen reden zu müssen.
Ich wünschte einfach nur, Gott oder meine Eltern oder Sam oder meine Schwester oder irgendwer würde mir sagen, was mit mir nicht stimmt. Mir sagen, wie ich mich verhalten soll, damit das alles Sinn ergibt. Damit das alles vorübergeht. Ich weiß, dass ich nicht so denken soll, weil es ja meine Verantwortung ist, und ich weiß, dass alles erst schlimmer wird, bevor es besser wird, weil das mein Psychiater gesagt hat – aber allmählich kann ich nicht mehr.
Nachdem ich eine Woche mit niemandem geredet hatte, habe ich schließlich Bob angerufen. Mir ist klar, dass das
keine gute Idee war, aber ich wusste einfach nicht, was ich sonst machen sollte. Ich fragte ihn, ob er mir etwas verkaufen könne, und er sagte, fünf Gramm Gras hätte er noch übrig, also habe ich etwas von meinem Ostergeld genommen und die fünf Gramm gekauft.
Ich rauche es die ganze Zeit.
Alles Liebe,
Charlie
4
29. April 1992
Lieber Freund,
ich wünschte, ich könnte Dir schreiben, dass es mir wieder besser geht. Aber das tut es nicht. Schon deshalb, weil wir wieder Schule haben und ich nicht mehr an dieselben Plätze gehen kann wie früher. Nichts kann mehr sein wie früher. Und ich war noch nicht so weit, Lebewohl zu sagen.
Um ehrlich zu sein, bin ich einfach allem aus dem Weg gegangen.
In der Schule wandere ich durch die Gänge und beobachte die Leute. Ich beobachte die Lehrer und frage mich, weshalb sie hier sind. Ob sie ihre Jobs mögen. Oder uns. Und ich frage mich, wie schlau sie eigentlich mit fünfzehn gewesen sind. Nur so aus Neugierde. Ich
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