Das also ist mein Leben - Chbosky, S: Das also ist mein Leben - The Perks of Being a Wallflower
kommt mein Bruder nach Hause. Und morgen ist die Abschlussfeier. Patrick hat immer noch
nicht angerufen. Ich habe es bei ihm versucht, aber es war wieder niemand da. Also beschloss ich, loszuziehen und ihnen ihre Geschenke zu kaufen. Ich war bisher noch nicht dazu gekommen.
Alles Liebe,
Charlie
16. Juni 1992
Lieber Freund,
eben bin ich mit dem Bus nach Hause gekommen. Heute war mein letzter Schultag. Und es hat geregnet. Wenn ich mit dem Schulbus fahre, setze ich mich normalerweise in die Mitte, weil angeblich vorne die »Streber« und hinten die »Spinner« sitzen, und das macht mich irgendwie nervös. Keine Ahnung, ob sie an anderen Schulen auch »Spinner« zu einem sagen.
Heute allerdings beschloss ich, mich vorne hinzusetzen und meine Beine über den ganzen Sitz auszustrecken. Als würde ich mich hinlegen – mit dem Rücken zum Fenster, um die anderen im Blick zu behalten. Zum Glück gibt es in Schulbussen keine Gurte, sonst hätte ich das nicht machen können.
Was mir auffiel, war, wie sehr sich alle verändert hatten. Als wir jünger waren, sangen wir am letzten Schultag auf dem Heimweg immer Songs. Meistens »Another Brick in
the Wall« von Pink Floyd. Es gab aber einen Song, der uns noch besser gefiel, weil er mit einem Fluch endete. Er ging so:
No more pencils
No more books
No more teachers’ dirty looks
When the teacher rings the bell
Drop your books and run like hell
Dann blickten wir immer gespannt zum Busfahrer – und brachen in Gelächter aus. Wir wussten, dass wir für das Fluchen Schwierigkeiten kriegen konnten, dass uns unsere zahlenmäßige Übermacht aber vor Strafe schützte. Wir waren zu jung, um zu kapieren, dass dem Busfahrer unser Song völlig egal war. Dass er einfach nur nach Hause wollte und vielleicht ein Schläfchen machen, nach den ganzen Drinks, die er zum Lunch hatte. Damals spielte das alles keine Rolle – »Streber« und »Spinner« gehörten zusammen.
Samstagabend kam mein Bruder nach Hause. Und er hatte sich in der kurzen Zeit noch mehr verändert als die Schüler im Bus: Er trug einen Bart! Er lächelte auch anders und war »zuvorkommender«. Wir setzten uns zum Abendessen hin, und alle stellten ihm Fragen. Dad fragte nach dem Football-Team. Mom nach seinen Kursen. Ich nach irgendwelchen Quatschgeschichten. Und meine Schwester erkundigte sich ganz nervös, wie das College denn nun »wirklich« sei und ob sie die »üblichen fünfzehn« zulegen würde. Ich habe noch nie davon gehört, aber offenbar heißt es, dass man dicker wird.
Ich hatte eigentlich erwartet, dass mein Bruder endlos über sich selbst reden würde. In der Highschool zumindest hatte er das immer gemacht, wenn ein wichtiges Spiel oder ein Ball oder sonst etwas anstand. Doch heute schien er sich viel mehr dafür zu interessieren, wie es uns ging – besonders meiner Schwester mit ihrem Abschluss.
Während wir uns also unterhielten, fiel mir auf einmal der Sportmoderator wieder ein, und dass er meinen Bruder erwähnt hatte. Ich war so begeistert davon, dass ich es gleich erzählte. Und das kam dabei heraus:
Mein Vater sagte: »Hey! Wenn das mal nichts ist!«
Mein Bruder sagte: »Echt?«
Ich sagte: »Ja. Ich habe mit ihm geredet.«
Mein Bruder sagte: »Hat er denn etwas Gutes gesagt?«
Mein Vater sagte: »Jede Presse ist gute Presse.« Keine Ahnung, wo Dad so etwas immer aufschnappt.
Mein Bruder sagte: »Was hat er gesagt?«
Ich sagte: »Na ja, er hat gesagt, dass der Collegesport ziemlich Druck auf die Studenten ausübt.« Mein Bruder nickte ungeduldig. »Aber er meinte, es forme auch den Charakter. Und er sagte, dass die Penn State mit ihren Spielern wirklich gut aufgestellt ist. Und er hat dich erwähnt.«
Mein Vater sagte: »Hey! Wenn das mal nichts ist!«
Mein Bruder sagte: »Echt?«
Ich sagte: »Ja. Ich habe mit ihm geredet.«
Mein Bruder sagte: »Wann hast du mit ihm geredet?«
Ich sagte: »Vor ein paar Wochen.«
Dann hielt ich inne, weil mir auf einmal auch der ganze Rest wieder einfiel. Dass ich den Mann nachts im Park getroffen hatte. Dass ich ihm eine Zigarette gegeben hatte.
Dass er versucht hatte, mich anzubaggern … Ich saß einfach nur da und hoffte, dass es vorüberging. Tat es aber nicht.
»Wo hast du ihn denn getroffen, Schatz?«, fragte meine Mutter.
Es wurde so leise im Zimmer, dass man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Ich spielte, so gut es eben ging, mich selbst, wenn mir gerade etwas nicht einfallen will, und das hier spielte sich dabei bei mir
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