Das also ist mein Leben - Chbosky, S: Das also ist mein Leben - The Perks of Being a Wallflower
zurück ins Heim, und du verpaßt, wie deine Enkelin ihre Rede hält.« Mein Bruder kann wirklich ganz schön hart sein.
»Dann verpasst du aber auch die Rede, großer Mann.« Mein Großvater kann ebenfalls ganz schön hart sein.
»Schon, aber Dad nimmt alles auf Video auf. Und ich kann dafür sorgen, dass ich das Video zu sehen kriege und du nicht. Also?«
Mein Großvater hat ein echt seltsames Lächeln – besonders, wenn jemand anders gewinnt. Er fing einfach an, über Football zu reden, und machte dabei nicht einmal eine Bemerkung darüber, dass mein Bruder mit Schwarzen zusammen in einem Team spielte. Ich kann Dir nicht sagen, wie schlimm es letztes Jahr war, als mein Bruder dort unten auf dem Sportplatz war und nicht auf der Tribüne, wo er Großvater in Schach halten konnte.
Während sie sich also über Football unterhielten, hielt ich nach Patrick und Sam Ausschau, doch ich sah nichts außer schwarzen Hüten. Als die Musik einsetzte, begannen die Hüte in Richtung der Klappstühle zu marschieren, die auf dem Platz aufgestellt waren. Und da entdeckte ich dann endlich Patrick. Und hinter ihm Sam. Und mir fiel
ein Stein vom Herzen. Ich konnte nicht richtig erkennen, ob Sam fröhlich oder traurig war, aber es reichte schon, zu wissen, dass sie da war.
Als alle Platz genommen hatten, hörte die Musik auf zu spielen und Mr. Small stand auf. Und er ging ans Mikrofon und hielt eine Rede darüber, was für ein wunderbarer Jahrgang dies gewesen sei und was die Schule erreicht hatte und wie viel Unterstützung sie beim diesjährigen Kuchenverkauf bräuchten, um neue Computer anzuschaffen. Und dann stellte er die Vorsitzende der Schülervertretung vor, die auch eine Rede hielt. Ich habe keine Ahnung, was Schülervertreter so machen, aber das Mädchen hielt eine ziemlich gute Rede.
Und dann waren die fünf besten Absolventen dran, auch eine Rede zu halten. Das ist so Tradition an unserer Schule. Meine Schwester war die Zweitbeste des Jahrgangs, also hielt sie die vorletzte Rede. Die Abschlussrede hält der oder die Beste. Und danach teilen Mr. Small und der Konrektor (Patrick schwört, dass er schwul ist) die Zeugnisse aus.
Die ersten drei Reden waren sich ziemlich ähnlich. Sie drehten sich alle um Zitate aus Popsongs, die etwas mit der Zukunft zu tun hatten. Und die ganze Zeit über konnte ich Moms Hände sehen, wie sie sich immer mehr verkrampften.
Dann, als der Name meiner Schwester aufgerufen wurde, brach meine Mutter in Beifall aus. Und tatsächlich: Es war wirklich toll, meine Schwester auf das Podium treten zu sehen, denn mein Bruder war in seinem Jahrgang der 223ste oder so gewesen und hatte keine Rede halten dürfen.
Und vielleicht war ich ja voreingenommen – aber als meine Schwester einen Popsong zitierte und über die Zukunft sprach, war das auch toll. Und meine Mutter weinte leise und war richtig aufgelöst, also nahmen mein Bruder und ich sie bei den Händen. Sie sah uns an und lächelte und weinte noch mehr. Da legten wir beide den Kopf auf ihre Schultern, woraufhin sie noch mehr weinte – oder vielleicht erst richtig weinen konnte, ich bin mir nicht sicher. Jedenfalls drückte sie unsere Hände und sagte »Meine Jungs« und weinte noch mehr. Ich habe meine Mutter so lieb, und ich glaube, zu meinem nächsten Geburtstag werde ich ihr etwas schenken. Ich finde, das sollte so üblich sein: Das Geburtstagskind kriegt nicht nur von allen Geschenke, sondern es schenkt seiner Mutter auch etwas, weil sie damals schließlich dabei war. Das fände ich schön.
Als meine Schwester mit ihrer Rede fertig war, klatschten und jubelten wir alle, aber niemand klatschte und jubelte lauter als mein Großvater. Niemand.
An die Abschlussrede erinnere ich mich nicht mehr, außer dass die Rednerin statt eines Popsongs Henry David Thoreau zitierte.
Dann kam Mr. Small wieder nach vorne und bat das Publikum, von weiterem Applaus abzusehen, bis alle Namen verlesen und alle Zeugnisse überreicht waren. Ich sollte erwähnen, dass das schon letztes Jahr nicht funktioniert hatte.
Also sah ich zu, wie meine Schwester ihr Zeugnis bekam und meine Mutter wieder weinen musste. Und dann sah ich Mary Elizabeth. Und Alice. Und ich sah Patrick. Und Sam. Es war ein toller Tag. Selbst als ich Brad sah – irgendwie schien es in Ordnung zu sein.
Mein Großvater war der Erste, der meine Schwester in die Arme schloss, als wir uns auf dem Parkplatz wiedertrafen. Ich glaube, er ist auf seine Art wirklich stolz auf uns. Alle sagten meiner
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