Das alte Haus am Meer
Diamanten besetzt. Ich habe es erst heute Morgen gemerkt, und sie muss hier irgendwo heruntergefallen sein. Ich weiß, ich habe sie am Mittwoch noch getragen und seitdem nicht mehr.«
»Ist sie wertvoll, Lady Steyne?«
»Ich denke schon – Smaragde und Diamanten, wissen Sie. Aber ich weiß nicht, was sie gekostet hat, es war ein Geschenk. Es wäre schrecklich, wenn ich sie verloren hätte.«
»Na gut, wenn Sie mir sagen, wo genau Sie sich aufgehalten haben …«
Sie machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Guter Mann, wir waren überall hier! Es ist wie eine Nadel im Heuhaufen. Vielleicht sollte ich eine Belohnung aussetzen.«
»Wie nahe sind Sie an die Klippen herangekommen?«
»Nicht näher als bis hier. Deshalb suche ich ja auch hier. Aber jetzt ist es mir zu heiß geworden. Ich habe meinen Wagen auf dem Weg stehen. Willst du mitfahren, Rafe?«
»Wenn der Inspektor mit mir fertig ist? Vielleicht möchte er auch mitkommen?« Er wandte sich an March. »Wie sind Sie hergekommen – Motorrad, Fahrrad, Auto?«
»Auto. Ja, wenn Lady Steyne mich mitnimmt, zurück nach Schloss Tanfield, da wäre ich sehr dankbar.«
Alicia sagte: »Aber ja.« Und dann: »Und Sie finden doch meine Brosche, nicht wahr? Wie wär’s mit einem Fünfer als Belohnung?«
38
Lisle ging hinaus in den Garten und setzte sich unter die Zeder. Dort war es immer schattig, selbst um die Mittagszeit. Sie lehnte sich im Liegestuhl zurück und schloss die Augen.
Fingerabdrücke auf ihrer Jacke – Handabdrücke … Ihr war übel – und nicht nur vor Ekel. Das Ganze war grauenvoll. All diese unsichtbaren, unbemerkten Abdrücke, jetzt waren sie zu schwarzen, anklagenden Flecken geworden, Handabdrücke, Fingerabdrücke, alles wurde untersucht, beschädigt, verdorben. Nicht nur die Jacke war besudelt worden, sondern alles. Vor einem halben Jahr, als sie diese neue Welt betreten hatte, wie strahlend schön war alles gewesen – Liebe, Hochzeit, ein Zuhause, Freunde. Eine komplette Familie wartete auf eine junge Frau, die nie eine gehabt hatte. Schönere Aussichten hätte es nicht geben können. Und nun war alles zerstört, die Farben verblasst, die Sonne verschwunden.
Ein Satz, den sie irgendwann gehört hatte, ging ihr durch den Kopf:
»Aufgelöst in gewöhnliche Luft wie der Hauch des Regenbogens aus einem Traum.« Wann hatte es begonnen? Sie dachte zurück und wusste es nicht. Es war ein unmerkliches Schwinden gewesen, so allmählich wie das Tageslicht der Dämmerung weicht oder die Flut sich zurückzieht.
Tränen quollen unter ihren Augenlidern, rannen aber nicht über ihr Gesicht, sondern trockneten dort. Sie überlegte, was sie tun konnte. Eine Welle der Panik durchlief sie. Vielleicht sollte sie für eine Weile weggehen? Aber in ihrem tiefsten Inneren wusste sie, dass sie nie zurückkäme, wenn sie jetzt ginge. Sie schreckte vor dem Gedanken zurück. Die Welt war groß, aber sie versprach ihr nur Einsamkeit, nicht Freiheit. Und sie fürchtete sich vor diesem Versprechen.
Sie setzte sich auf und sah Dale mit ungeduldigen Schritten über den Rasen auf sie zukommen. Sein Kopf war unbedeckt, und er sah sehr gut aus. Plötzlich kamen ihr all die dummen Gedanken krankhaft und einfältig vor, und die Scham trieb ihr die Röte ins Gesicht.
Dale warf sich auf einen Stuhl und sagte mit einer Stimme, ebenso ungeduldig wie seine Schritte zuvor: »Wo steckst du eigentlich die ganze Zeit? Ich will mit dir reden.«
»Ich bin mit Rafe nach Ledlington gefahren.«
Er runzelte die Stirn.
»Warum mit Rafe? Ich hätte dich fahren können. Egal, darüber reden wir ein andermal. Hör zu, Tatham hat sich gemeldet, er will eine definitive Antwort, und zwar bis Ende des Monats. Ja oder nein, und wenn Robson nicht vernünftig ist …«, er hob eine Hand und ließ sie wieder sinken, »dann wird es ein Ja sein müssen.«
Ihr Herz verkrampfte sich. Sanft sagte sie:
»Es tut mir Leid, Dale.«
»Wirklich?« Er setzte sich auf und beugte sich eifrig zu ihr. »Tut es dir wirklich Leid? Ja, ich glaube es dir. Lisle, lass es uns bei Robson noch einmal versuchen. Was meinst du? Vielleicht gibt er nach, man kann nie wissen. Dann habe ich wenigstens das Gefühl, alles versucht zu haben. Verstehst du, was ich meine? Ich will mir später nicht vorwerfen müssen, dies oder jenes nicht versucht zu haben, es nicht noch ein letztes Mal bei Robson probiert zu haben. Verstehst du das, Liebling?«
Sie nickte. Das war leichter als zu sprechen. Wenn er sie so anblickte, erinnerte sie sich an all
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