Das alte Haus am Meer
der Rasen weiter verbrennen. Sie hörte, wie Rafe freundlich und gelassen sagte:
»Ach, ein Motiv lässt sich immer finden. An Marchs Stelle würden mir ein halbes Dutzend einfallen.«
Nach einer Weile sagte Dale entsetzt:
»Rafe, du glaubst doch nicht im Ernst …«
Rafe stand auf.
»March glaubt es. Er hat natürlich keine Beweise. Er würde es nie wagen, mit den Abdrücken vor Gericht zu erscheinen. Und er weiß, dass ich es weiß. Wir hatten ein nettes Wortgefecht – er weiß, wie seine Chancen stehen. Aber wir sollten auf der Hut sein, jeder von uns.«
Alicia Steyne sah ihn an. Er lächelte und holte ein Zigarettenetui aus der Tasche. Sie sagte mit hoher, liebenswürdiger Stimme:
»Warum benutzt du denn wieder das alte, schäbige Ding? Was ist mit dem Etui, das Lisle dir zum Geburtstag geschenkt hat?«
Das schäbige, alte Etui in der Hand, lächelte er sie an. Dann ließ er es aufschnappen und nahm eine Zigarette heraus.
»Es ist verloren gegangen. Es taucht sicher wieder auf.«
»Verloren? Seit wann?«
»O, seit ein oder zwei Tagen. Hast du es vielleicht gesehen?«
Alicia sah ihn an, dann blickte sie weg.
»Vielleicht.«
»Wie rätselhaft. Ich setze jedenfalls keine Belohnung aus. Es hat also keinen Sinn, es zurückzuhalten.« Er schlenderte davon.
Von ihrem Sitzplatz aus konnte Lisle sein helles Hemd zwischen den Bäumen leuchten sehen, als er den Weg zum Meer nahm. Er ging langsam, ziellos – das perfekte Bild eines müßigen jungen Mannes, der einen ganzen Sommernachmittag lang Zeit hat. Aber da war die Beerdigung, Cissies Beerdigung …
Plötzlich hatte sie das Gefühl, nicht länger hier zwischen Dale und Alicia sitzen zu können. Sie stand auf.
Sofort sagte Dale: »Wohin gehst du?«
»Ich möchte mich vor der Beerdigung noch kurz hinlegen.«
»Warte einen Moment! Du hast auch mit March gesprochen?«
»Ja.«
»Was hat er zu dir gesagt? Was wollte er wissen?«
»Sehr wenig, Dale. Nur, wann ich die Jacke zuletzt anhatte, und ob einer von euch mich berührt hätte, während ich sie trug.«
»Und was hast du gesagt?«
»Rafe hat mir in die Jacke geholfen. Das habe ich gesagt.«
»Wenn man es genau nimmt, haben wir dich sicher alle berührt.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nicht während ich die Jacke anhatte.«
Er lachte und blickte sie an. Sein Zorn war verflogen.
»Liebling, ich war doch gerade nach Hause gekommen. Wir haben uns innig begrüßt.«
Sie setzte sich langsam in Bewegung.
»Da hatte ich die Jacke noch nicht an. Rafe hat sie mir später gebracht.«
Als sie bei der Terrasse angekommen war, blickte sie noch einmal zurück. Der Schatten der Zeder war gewandert. Dale saß noch im Schatten, aber die Sonne war schon bei Alicia. Genau in dem Augenblick, als Lisle sich umdrehte, schnellte Alicias Hand mit etwas Glitzerndem hoch. Es glänzte und flog von ihr zu Dale. Er beugte sich vor und fing es.
Lisle ging ins Haus und fragte sich beiläufig, was das glänzende Ding wohl gewesen sein mochte.
41
Cissie Coles Beerdigung war vorbei. Mit einem Seufzer der Erleichterung lösten sich die kleinen Gruppen um das Grab auf. Der Chorrock des Pfarrers glänzte in der grellen Sonne. Schon begannen die Blumen zu welken. Schwarze Kleider, viel zu warm für den Tag, wirkten schäbig mit abgewetzten Nähten. Lisle wandte sich um, legte eine Hand auf Miss Coles Arm und sprach leise ein, zwei Worte mit ihr. Dann war es wirklich vorbei. Sie stiegen in Dales Wagen und fuhren nach Hause.
Unter der Zeder wurden Tee und kühle Getränke serviert. Der Rasen fiel grün zum blauen Meer hin ab, und vom Wasser her kam eine leichte Brise. Es war alles vorbei, und man konnte die Sache eigentlich vergessen.
Alles vorbei. Lisle sagte es zu sich selbst, aber es klang nicht echt. Sie ging nach oben in ihr Zimmer, um das schwarze Kleid auszuziehen. Dale ging ebenfalls hinauf, und sie hörte ihn in seinem Zimmer auf und ab gehen. Sie schlüpfte gerade in ein kurzärmeliges Baumwollkleid, als die Verbindungstür aufging und Dale in Hemd und Flanellhose hereinkam.
»Was für eine Erleichterung! Liebling, in diesem albernen Kleid siehst du wie ein kleines Mädchen aus.«
»Klein?« Sie versuchte zu lächeln. »Weißt du, wie groß ich bin?«
»Nur ein Kosename, Liebling.« Seine Augen lächelten sie an. Und dann plötzlich verschwand das Lächeln. »Hör mal, ich muss mit dir reden. Und es ist so verdammt unangenehm, dass ich es immer wieder aufgeschoben habe. Aber jetzt geht es nicht mehr.«
»Dale, was ist es?«
»Liebling, ich würde
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