Das alte Königreich 01 - Sabriel
Prinzen aus dem Königshaus aus seiner vorübergehenden Starre befreien und mit Hilfe des Relikts der Mauermacher die Großen Chartersteine wiederherstellen…«
»Der überlebende Prinz«, murmelte Sabriel mit banger Ahnung. »Er war doch nicht… äh… als Galionsfigur in Heiligenhall erstarrt… und sein Geist im Tod?«
»Eigentlich ein unehelicher Sohn und wahrscheinlich ein wenig verrückt«, sagte Abhorsen, ohne wirklich hinzuhören. »Aber er hat das Blut. Was? O ja, ja, er ist… was hast du gesagt? Soll das heißen…?«
»Ja«, antwortete Sabriel bedrückt. »Ich kenne ihn. Er nennt sich Touchstone. Er wartet im Reservoir, in der Nähe der Steine. Mit Mogget.«
Abhorsen hielt zum ersten Mal kurz an, sichtlich bestürzt.
»Unsere Pläne gehen offenbar schief«, murmelte er seufzend. »Kerrigor lockte mich zum Reservoir, um mit meinem Blut einen Großen Stein zu brechen. Doch ich konnte mich schützen, darum musste er sich damit zufrieden geben, mich im Tod gefangen zu halten. Dann dachte er, du würdest zu meinem Körper kommen und er könnte dein Blut benutzen – aber ich war nicht so sicher gefangen, wie er glaubte, und plante einen Gegenschlag. Nun, da der Prinz dort ist, hat Kerrigor allerdings eine neue Blutquelle, um eine Große Charter zu brechen…«
»Er steht in einer Schutzraute«, sagte Sabriel und hatte plötzlich Angst um Touchstone.
»Das genügt vielleicht nicht«, entgegnete Abhorsen grimmig. »Kerrigor wird mit jedem Tag stärker, den er im Leben verbringt, denn er nimmt die Kraft von Lebenden und stärkt sich an den gebrochenen Steinen. Er wird bald fähig sein, selbst die mächtigsten Verteidigungen der Chartermagie zu durchbrechen. Möglicherweise ist er jetzt schon dazu in der Lage. Aber erzähl mir vom Begleiter des Prinzen. Wer ist Mogget?«
»Mogget«, echote Sabriel, wieder erstaunt. »Aber ich habe ihn doch in unserem Haus kennen gelernt! Er ist – etwas – aus Freier Magie in Gestalt einer weißen Katze mit rotem Halsband, an dem eine Miniatur-Saraneth hängt.«
»Mogget«, murmelte Abhorsen, als kaue er an etwas Ungenießbarem. »Das ist das Relikt der Mauermacher – oder ihre letzte Schöpfung, ihr Kind – niemand weiß es, vermutlich nicht einmal er selbst. Ich frage mich, warum er Katzengestalt angenommen hat. Für mich war er immer eine Art Albinozwerg, und er verließ das Haus so gut wie nie. Er bietet dem Prinzen vielleicht eine Art Schutz. Wir müssen uns beeilen.«
»Ich dachte, das tun wir sowieso«, keuchte Sabriel, als er weitereilte. Sie wollte nicht gereizt reagieren, aber dies war nicht die Art von herzlichem Wiedersehen zwischen Vater und Tochter, wie sie es sich ersehnt hatte. Er schien sie kaum zu bemerken und sah in ihr lediglich eine Auskunftsquelle für Geschehenes, das er nicht selbst erlebt hatte – und eine mögliche Waffe gegen Kerrigor.
Abhorsen vermochte ihre Gedanken offenbar zu lesen. Er blieb plötzlich stehen und schlang rasch einen Arm um sie. Seine Umarmung war fest, doch Sabriel fühlte dabei eine andere Wirklichkeit, als wäre sein Arm nur ein Schatten, zeitweilig aus Licht geschaffen, doch dazu bestimmt, bei Einbruch der Nacht zu schwinden.
»Ich war kein idealer Vater, das weiß ich«, sagte Abhorsen leise. »Das ist keiner von uns. Wenn wir der oder die Abhorsen werden, verlieren wir fast alles. Verantwortung für so viele mindert die gegenüber jenen, die einem nahe stehen. Du bist meine Tochter und ich habe dich immer geliebt. Ich kehre jetzt nur für kurze Zeit ins Leben zurück – hundert mal hundert Herzschläge lang, nicht mehr, und ich muss eine Schlacht gegen einen schrecklichen Feind gewinnen. Unsere jetzigen Rollen, die wir spielen müssen, sind nicht die von Vater und Tochter, sondern die eines alten Abhorsen, der Platz für den neuen macht. Doch glaube mir, meine Liebe zu dir bleibt davon unberührt.«
»Hundert mal hundert Herzschläge…«, wisperte Sabriel, und Tränen rollten ihr über die Wangen. Sie löste sich sanft aus seiner Umarmung. Gemeinsam gingen sie weiter zum Ersten Tor, der Ersten Zone, dem Leben – und dem Reservoir.
23
Touchstone konnte die Toten nun sehen und hatte keine Schwierigkeit, sie zu hören. Sie leierten Worte und klatschten mit ihren verwesten Händen in einem gleichmäßigen, langsamen Rhythmus, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Es waren gespenstische Geräusche, das Aufeinanderkrachen von Knochen und das weiche Platschen von sich auflösendem Fleisch. Die
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