Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
Vom Netzwerk:
fortmusste. Voller Panik griff er nach seinen Satteltaschen, stopfte die verfluchten Glocken hinein, schnallte sich das Schwert um und verließ das Zimmer.
    Wie er es die Treppe hinuntergeschafft hatte, wusste er nicht, doch einen Augenblick später war er in der Wirtsstube, wo die Gäste sich verängstigt an die Wände drückten und ihn anstarrten. Sam blickte mit weit aufgerissenen, wirren Augen um sich und hinterließ blutige Fußabdrücke auf dem Boden, als er durch den Raum humpelte.
    Dann hatte er den Stall erreicht und sattelte Sprosse, musste die Stute zuerst aber beruhigen, weil der Geruch des Blutes sie ängstigte.
    Kurz darauf saß Sam im Sattel und ritt Sprosse erst im Trott, bevor er sie zum leichten Galopp antrieb. Die ganze Zeit spürte er, dass ihm sein Blut wie warmes Wasser das Bein hinunterströmte und den Stiefel füllte, bis es über den umgekrempelten Rand quoll. Eine innere Stimme riet ihm, anzuhalten und die Wunde zu versorgen, doch das Verlangen, vom Tatort zu fliehen, war stärker.
    Er ritt nach Westen, während hinter ihm die Sonne aufging. Um eine falsche Fährte zu legen, ritt er eine Zeit lang im Zickzack; dann hielt er querfeldein auf einen dunklen Wald zu, um sich dort zu verstecken und seine Verletzung zu versorgen.
    Bald darauf erreichte Sam den beruhigenden Schatten der Bäume. Als er sich halbwegs in Sicherheit wähnte, rutschte er stöhnend vom Pferd. Der Schmerz durchdrang jeden Zoll seines Beines, und die grüne Welt des Waldes schaukelte und drehte sich um ihn. Das gelbe Morgenlicht hatte sich in Grau verwandelt, wie der Dotter eines zu lange gekochten Eies. Sam vermochte sich nicht auf den Heilzauber zu konzentrieren. Die Charterzeichen entglitten ihm, wollten sich nicht aneinander reihen, wie es hätte sein müssen.
    Alles fiel Sam unendlich schwer. Es wäre viel einfacher gewesen, loszulassen, einzuschlafen und in den Tod zu treiben.
    Nur dass er den Tod und dessen Kälte kannte. Er fiel bereits in die eisige Strömung des Flusses. Wäre er sicher gewesen, dass die Strömung ihn durch die Kaskade des Ersten Tores und dann weiterreißen würde, hätte er vielleicht aufgegeben. Doch Sam wusste, dass der Nekromant, der ihn verbrannt hatte, im Tod auf ihn wartete – auf den Abhorsen-Nachfolger, der nicht einmal fähig war, die Art seines Todes zu bestimmen. Der Nekromant würde ihn fassen, würde ihm den Geist nehmen und an seinen eigenen Willen binden, um ihn gegen seine Familie und das Königreich einzusetzen…
    Die Furcht, die in Sam wuchs, war schlimmer als der Schmerz. Wieder griff er nach den Charterzeichen des Heilens – und diesmal fand er sie. Goldene Wärme stieg in seine schwach gestikulierenden Hände und floss durch die blutige, klebrige Hose in sein Bein. Die Hitze drang bis zu den Knochen. Sam spürte, wie die Haut sich schloss und die Blutgefäße zusammenwuchsen.
    Doch Sam hatte zu schnell zu viel Blut verloren, als dass der Zauber ihm sofort seine Kräfte hätte zurückbringen können. Er versuchte aufzustehen und konnte es nicht. Sein Kopf fiel zurück auf das abgestorbene Laub. Er versuchte die Augen weit zu öffnen, doch es war unmöglich. Der Wald drehte sich schneller und schneller um ihn, wie ein Karussell aus Bäumen und Sträuchern – und dann wurde ihm schwarz vor Augen.

     

29
    DAS OBSERVATORIUM DER CLAYR
     
    Die Fragwürdige Hündin erwachte aus tiefem Schlaf und verbrachte mehrere Minuten damit, sich zu strecken, zu gähnen und die Augen zu rollen. Schließlich schüttelte sie sich und ging zur Tür, wo Lirael stand, die Arme vor der Brust gekreuzt.
    »Ich muss mit dir reden!«, sagte sie streng.
    Die Hündin tat überrascht und legte die Ohren zurück. »Sollten wir nicht zusehen, dass wir heimkommen? Es ist schon nach Mitternacht. Die dritte Morgenstunde, um genau zu sein.«
    »Was sagst du da?«, rief Lirael erschrocken und vergaß jeden Gedanken an ein Gespräch. »Das gibt es doch nicht! Wir müssen uns beeilen!«
    »Aber wenn du erst mit mir reden möchtest…« Die Hündin setzte sich und legte den Kopf schief, um ihre Bereitschaft zum Zuhören zu bekunden. »So etwas soll man nicht aufschieben, weißt du.«
    Lirael antwortete nicht. Sie packte das Halsband der Hündin und riss sie hoch.
    »Autsch«, japste die Hündin. »Ich hab nur Spaß gemacht. Ich beeil mich ja.«
    »Komm schon!«, schnaufte Lirael. Doch sosehr sie sich bemühte – die Tür widersetzte sich. »Wie lässt diese verflixte Tür sich bloß öffnen?«
    »Frag sie«,

Weitere Kostenlose Bücher