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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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Lirael. »Was hat das mit mir zu tun? Ich meine, der Rote See… dieser Mann… und überhaupt? Ich bin doch nur Bibliotheksassistentin zweiten Grades! Was habe ich damit zu tun?«
    »Das wissen wir nicht«, antwortete Sanar. »Die Visionen sind bruchstückhaft, und eine dunkle Wolke breitet sich wie vergossene Milch über den Seiten der möglichen Zukünfte aus. Wir wissen nur, dass dieser Mann wichtig ist, und wir haben ihn mit dir zusammen Gesehen. Wir glauben, dass du den Gletscher verlassen und nach Süden ziehen musst, um das Rohrboot auf dem Roten See zu finden – und den jungen Mann.«
    Lirael blickte auf Sanars Lippen, die sich noch immer bewegten, doch sie vermochte keinen Laut zu hören außer dem Tosen des Flusses, der schäumend dahinströmte, um sich aus dem Berg zu befreien und in ein fernes, unbekanntes Land zu fließen.
    Ich werde hinausgeworfen, dachte Lirael bedrückt. Mir wurde die Sicht nicht gewährt. Ich bin zu alt dafür geworden, und nun werfen sie mich hinaus…
    »Wir hatten auch noch eine andere Vision des Mannes«, sagte Sanar, als Lirael wieder hören konnte. »Komm, wir werden ihn dir zeigen, damit du ihn zur rechten Zeit erkennst und etwas von der Gefahr weißt, in der er sich befindet. Doch nicht hier – wir müssen zum Observatorium hinaufsteigen.«
    »Zum Observatorium?«, rief Lirael. »Aber ich bin nicht Erwacht!«
    »Ich weiß.« Ryelle nahm ihre Hand, um sie zu führen. »Es fällt dir schwer, auf deinen Herzenswunsch zu blicken, wenn er dir nicht gegeben ist. Wäre die Gefahr geringer oder könnte jemand anders diese Last tragen, würden wir dich nicht so bedrängen. Und wäre die Vision nicht von dem Ort, der sich uns widersetzt, könnten wir dir den Mann wahrscheinlich auch anderswo zeigen. Doch so brauchen wir die Macht des Observatoriums und die vereinte Kraft der Wache.«
    Sie schritten die Kluft entlang, eine schweigende und sehr nachdenkliche Lirael zwischen Ryelle und Sanar. Durch die Anwesenheit der vielen Clayr, die an diesem Ort zur letzten Ruhe gebettet waren, spürte Lirael flüchtig, was die Hündin ihren »Todessinn« genannt hatte, doch sie achtete nicht darauf. Es war, als würde jemand, der weit entfernt war, den Namen eines anderen rufen. Lirael konnte nur daran denken, dass man sie davonschickte. Sie würde wieder allein sein, denn die Fragwürdige Hündin kam vielleicht nie mehr zurück, konnte außerhalb des Clayr-Gletschers vielleicht gar nicht existieren – wie ein Sendling, der seine Grenzen nicht zu überschreiten vermochte.
    Auf halbem Weg die Kluft entlang in Richtung der Tür, durch die sie hergekommen war, sah Lirael erstaunt, dass nun eine lange Brücke aus Eis die Tiefe überspannte. Die Clayr schritten darüber hinweg und verschwanden in einer tiefen Höhlenöffnung auf der anderen Seite der Kluft. Ryelle bemerkte Liraels erstaunten Blick und sagte: »Es gibt viele Verbindungen vom und zum Observatorium, wo immer wir eine benötigen. Diese Brücke wird schmelzen, sobald wir sie überquert haben.«
    Lirael nickte stumm. Sie hatte sich immer schon gefragt, wo das Observatorium sein mochte, und hatte mehr als einmal versucht, es zu finden. In vielen Tagträumen hatte sie gehofft, den Weg dorthin zu entdecken und dort die Gabe der Sicht zu erhalten. Diese Träume waren nun wie Seifenblasen geplatzt.
    Die Höhlenöffnung am Ende der Brücke führte in einen grob aus dem Fels gehauenen Tunnel, der ziemlich steil aufwärts führte. Es war sehr anstrengend, diesem Pfad zu folgen. Lirael schwitzte und war außer Atem, als der Tunnel endlich eben weiterführte. Schließlich blieben Ryelle und Sanar stehen. Lirael wischte sich den Schweiß von der Stirn, ehe sie sich umschaute. Sie hatten den Felsen hinter sich gelassen, nun befand sich nur noch Eis rundum, blaues Eis, in dem die Charterlichter der Clayr sich spiegelten. Sie hatten das Herz des Gletschers erreicht.
    Ein Tor war ins Eis gehauen, vor dem zwei Wächterinnen in voller Rüstung standen. Die Schilde, die sie hielten, zeigten den goldenen Stern der Clayr. Ihre Gesichter unter den offenen Helmen waren wie aus Stein gemeißelt. Eine der Wächterinnen trug eine Streitaxt, auf der Charterzeichen schimmerten, die andere hielt ein Schwert, das heller leuchtete als die Lichter und Tausende winziger Spiegelbilder aufs Eis warf.
    Lirael starrte die Wächterinnen an. Sie waren zweifellos Clayr, doch sie kannte keine der beiden, was sehr seltsam war: Es gab knapp dreitausend Clayr im Gletscher, und

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