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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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Kraftreserven, von denen er nichts geahnt hatte.
    Das Licht enthüllte schließlich auch die Geschehnisse der Nacht. Das Bachbett war fast trocken, der von den Toten errichtete Damm hielt noch immer. Sechs durch Chartermagie vernichtete Leichen lagen um das Inselchen herum: leere Hüllen, die von den Toten verlassen worden waren, als der Zauber der Schutzraute durch zu viele Nervenbahnen und Sehnen brannte und die Körper nutzlos wurden.
    Sam starrte mit roten, geschwollenen Augen auf das grässliche Bild und beobachtete, wie das Sonnenlicht über die stinkenden Überreste kroch. Er hatte gespürt, wie die Totengeister die Körper aufgaben, Schlangen ähnlich, die sich häuten. Doch in dem Durcheinander ihrer selbstmörderischen Angriffe hatte er nicht feststellen können, ob sie sich alle zurückgezogen hatten. Einer mochte vielleicht noch in der Nähe lauern, seine Kraft aufsparen und der Sonne standhalten, in der Hoffnung, Sam würde unvorsichtigerweise aus der Raute treten.
    Er konnte immer noch Tote in der Nähe spüren, doch waren es vermutlich die Schattenhände, die sich tagsüber in Kaninchenlöchern oder Schlangengruben unter der Erde verkrochen, wohin sie gehörten.
    Endlich lag das ganze Bachbett in vollem Sonnenschein, und das Gefühl wich, dass Tote sich in der Nähe befanden. Nur die Blutkrähe kreiste immer noch hoch oben. Sam seufzte erleichtert und streckte sich, um den Krampf aus seinem Schwertarm und die Schmerzen in seinem Bein zu vertreiben. Er war erschöpft, aber er lebte. Zumindest noch einen Tag.
    »Wir sollten jetzt aufbrechen«, meinte Mogget, der trotz des Lärms, der von den Totenhänden rings um die Raute veranstaltet worden war, gut geschlafen hatte. Und er sah ganz so aus, als würde er jeden Augenblick wieder in tiefen Schlummer fallen.
    »Wenn die Blutkrähe so dumm ist, sich uns zu nähern, dann töte sie«, fügte er gähnend hinzu. »Das verschafft uns eine Gelegenheit, zu entkommen.«
    »Womit
könnte
ich sie denn töten?«, fragte Sam, der zu erschöpft war, einen Charterzauber zu wirken, und Pfeil und Bogen hatte er nicht.
    Doch Mogget antwortete ihm nicht. Der Kater schlief bereits wieder in der Satteltasche, die nur über Sprosses Rücken gehängt werden musste. Sam seufzte und zwang sich, mit dem Satteln weiterzumachen. So müde er auch war – noch immer plagte er sich mit dem Problem der Blutkrähe ab. Solange der abscheuliche Vogel herumstrich, würden andere Tote sie mühelos finden können, wie Mogget gesagt hatte. Und vielleicht kam als Nächstes ein Größerer Toter oder ein Mordicant. Oder vielleicht auch bloß eine größere Zahl Geringerer Toter. Sam beschloss, die nächsten zwei, drei Nächte im Wald zu verbringen, denn er wurde mit jeder Stunde schwächer und war bald vielleicht nicht mehr im Stande, eine Schutzraute zu wirken…
    Müde blickte er hinunter auf das trockene Bachbett und die zahlreichen runden Steine dort. Seine Kraft würde noch reichen, Steine mit dem Zeichen der Zielsicherheit zu markieren und aus seinem Ersatzhemd eine Schleuder zu machen. Jall Oren hatte den Königskindern den Umgang mit vielerlei Waffen beigebracht, auch mit der Schleuder.
    Zum ersten Mal seit Tagen huschte ein Lächeln über Sams Gesicht und vertrieb die Erschöpfung. Er blickte zum Himmel. Tatsächlich kreiste die Blutkrähe heute tiefer als gestern und vertraute darauf, dass Sam ihr nichts anhaben konnte, weil er über keinen Bogen verfügte. Auch mit der Schleuder würde ein weiter Schuss nicht möglich sein, doch ein mit Chartermagie versehener Stein konnte die Entfernung überwinden.
    Immer noch lächelnd kniete Sam sich nieder, hob verstohlen ein paar brauchbare Steine auf und riss die Ärmel von seinem Hemd. Sollte die Blutkrähe ihnen ruhig weiterhin folgen. Sollte sie ruhig noch dreister werden. Bald würde sie für ihre Dreistigkeit bezahlen, einem Prinzen des Alten Königreichs nachzuspionieren.
    Sam führte Sprosse am Wasser entlang nach Westen, bis der Bach in einen schmalen Fluss mündete. Dort konnte er sich die Richtung aussuchen – flussaufwärts nach Nordosten oder flussabwärts nach Südwesten.
    An der Mündung zögerte er und hielt sich dicht an Sprosse, um von der Blutkrähe nicht gesehen zu werden, während er einen Stein mit Magie versah und in die behelfsmäßige Schleuder legte. Die Blutkrähe bemerkte sein scheinbares Zögern und kreiste tiefer, um zu sehen, welche Richtung er einschlug. Anscheinend war die Krähe wegen des Flusses besorgt und

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