Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
Vom Netzwerk:
hoffte nun darauf, dass Sam umkehrte.
    Sameth wartete, bis die Blutkrähe nahe genug war; dann trat er hinter Sprosse hervor und wirbelte die Schleuder über dem Kopf. Schließlich ließ er den Stein mit einem gellenden Schrei fliegen.
    Die Blutkrähe, der keine Zeit mehr blieb, auf den Angriff zu reagieren, flog geradewegs in die Bahn des Steines. Nur wenige Augenblicke später war ein platzendes Geräusch zu vernehmen, und Gefieder, trockene Knochen und verrottende Fleischstückchen fielen vom Himmel.
    Laut jubelnd beobachtete Sam, wie die abscheuliche Kreatur sich auflöste. Der zerschmetterte Federball stürzte aufspritzend in den Bach. Und das Beste war, dass zusammen mit dieser einen Blutkrähe auch all ihre Artgenossen vernichtet wurden: Sämtliche Fragmente des Totengeists, der die Krähen belebt hatte, wurden dorthin zurückverbannt, von wo sie gekommen waren.
    Nach der Vernichtung der Blutkrähen spürte Sam auch keine anderen Toten mehr in der Nähe. Die Schattenhände hatten sich inzwischen längst versteckt; ebenso alle Totenhände, die übrig geblieben waren. Ihr Meister, der sie aus weiter Ferne befehligte, konnte jetzt nicht mehr sicher sein, in welche Richtung Sam ziehen würde. Seine Chancen wuchsen, dem Verfolger zunächst einmal zu entkommen.
    »Wir haben eine Chance, Sprosse«, sagte Sam erfreut und führte die Stute zu einem Wildpfad, der parallel zum Flüsschen verlief. »Wir haben eine echte Chance.«
    Doch die Hoffnung wurde im Laufe des Tages geringer, als das Vorankommen immer schwieriger wurde, bis Sam nicht einmal mehr auf Sprosse reiten konnte. Das Flüsschen war viel tiefer und schneller geworden, aber auch viel schmäler, kaum drei oder vier Schritte breit, so dass es unmöglich war, darin zu stehen oder ein Lager aufzuschlagen, das wenigstens an zwei Seiten geschützt wäre.
    Auch der Pfad verwilderte zusehends und wurde schwieriger zu begehen. Sam musste einen Weg durch dichte Äste, Büsche und stacheliges Brombeergestrüpp hauen. Seine blutigen Hände lockten Schwärme von Fliegen an – und später wahrscheinlich auch die Toten, denn sie konnten Blut aus großer Entfernung riechen. Wenn es dazu noch frisches war, würden sie umso schneller herbeieilen.
    Am Spätnachmittag stieg Verzweiflung in Sam auf. Er war jetzt völlig erschöpft und wusste, dass er in der kommenden Nacht keine Schutzraute mehr zu wirken vermochte, so dass er den Toten wehrlos ausgeliefert sein würde.
    Seine Müdigkeit schwächte überdies seine Sinne, minderte seine Sehschärfe und beeinträchtigte sein Gehör, so dass er Sprosses Hufe auf dem nachgiebigen Waldboden kaum noch vernahm.
    Deshalb brauchte er mehrere Sekunden, bis ihm bewusst wurde, dass Sprosses Hufe plötzlich ein schärferes Geräusch machten und das kühle grüne Licht des Waldes einem viel grelleren Leuchten wich. Er blickte auf und gewahrte eine ungefähr hundert Schritt breite Lichtung, die von Südosten nach Nordwesten durch den Wald schnitt und sich offenbar in beide Richtungen fortsetzte. Durch die Mitte dieser vegetationslosen Lichtung verlief eine gepflasterte Straße.
    Sam starrte auf die Straße und dann auf die Sonne, die er unter dem schattigen Dach des Waldes kaum gesehen hatte.
    »Noch etwa zwei bis drei Stunden bis zur Abenddämmerung«, sagte er zu Sprosse, während er einen Steigbügel zurechtrückte, um wieder aufzusitzen. »Du hattest heute reichlich Hafer, nicht wahr? Außerdem hast du mich bisher nicht tragen müssen. Jetzt kannst du es mir vergelten, denn ich sitz auf.«
    Er lächelte, als er an einen Ausruf dachte, den er oft in den Filmen in Somersbys Orpheum in Ancelstierre gehört hatte.
    »Wir werden reiten, Sprosse! Reiten wie der Wind!«
    Anderthalb Stunden später rannte Sprosse nicht mehr wie der Wind, sondern trottete im Schritt, mit zitternden Beinen, schweißigen Flanken und Schaum vor den Nüstern. Sam war in kaum besserer Verfassung. Er ging wieder neben Sprosse her, um ihr Gelegenheit zu geben, sich ein wenig zu erholen. Er wusste nicht, was ihn mehr schmerzte: sein Bein oder seine Kehrseite.
    Trotzdem hatten sie dank der Straße wahrscheinlich mehr als zwanzig Meilen zurückgelegt. Die Straße war offenbar schon in der Zeit vor dem Interregnum erbaut worden und sehr gut erhalten.
    Nun erklommen sie einen nicht allzu steilen Hang. Sam erhoffte sich von der Hügelkuppe einen Blick auf den Ratterlin, ehe der Tag zu Ende ging. Nach seiner Schätzung hatten der Ritt und die Straße ihm mehr als einen Tag

Weitere Kostenlose Bücher