Das alte Königreich 02 - Lirael
der Badewanne. Er setzte sich schwerfällig auf, wie benommen, während die Katze ihm auf die Schulter kletterte. Als der Mann das Schiff sah, griff er nach seinem Schwert.
Lirael hob ihren Bogen und legte einen weiteren Pfeil an.
Finderin
drehte sich in den Wind, so dass sie langsamer wurde und Lirael eine bessere Gelegenheit zu einem zielsicheren Schuss hatte.
Die Katze öffnete das Mäulchen, und mit einem weiteren Gähnen kamen Worte hervor.
»Was machst
du
denn hier?«
Lirael fuhr vor Überraschung zusammen, ließ ihren Bogen aber nicht fallen.
Sie wollte gerade antworten, als ihr bewusst wurde, dass die Katze die Hündin angesprochen hatte.
»Hmm«, antwortete die Hündin, »man sollte meinen, jemand so Schlaues wie du müsste die Antwort kennen. Wie heißt du denn jetzt? Und wer ist dieser zerlumpte Bursche bei dir?«
»Man nennt mich jetzt Mogget«, antwortete die Katze. »Meistens jedenfalls. Welchen Namen…«
»Der zerlumpte Bursche kann sehr wohl für sich selbst sprechen«, unterbrach der Mann wütend. »Wer oder was bist du? Und wer seid Ihr, Mädchen? Das ist doch ein Schiff der Clayr! Habt Ihr es gestohlen?«
Finderin schwankte bei dieser Beleidigung, und Liraels Rechte näherte sich der Bogensehne. Dieser abgerissene Kerl war auch noch überheblich! Dabei schien er jünger zu sein als sie, Lirael. Und er trug das Glockenbandelier eines Nekromanten. Davon abgesehen sah er sehr gut aus – was ihn in Liraels Augen jedoch zusätzlich abwertete: Die gut aussehenden Männer waren im Unteren Refektorium immer an sie herangetreten, weil diese Burschen sich in ihrer Selbstüberschätzung einbildeten, dass Lirael ihnen keinen Korb gab.
»Ich bin die Fragwürdige Hündin, Begleiterin von Lirael, Tochter der Clayr«, sagte die Hündin.
»Dann wurdest du also auch gestohlen«, brummte Sam, ohne nachzudenken, was er sagte. Ihm tat alles weh, und dass Mogget auf seiner Schulter hockte, war schmerzhaft und ärgerlich obendrein.
»Ich bin Lirael, Tochter der Clayr«, sagte Lirael. Diesmal war ihr Zorn größer als das gewohnte Gefühl, eine Hochstaplerin zu sein, wenn sie diese Worte sprach. »Wer oder was seid Ihr? Außer dass Ihr keine Manieren habt!«
Der Mann – oder vielmehr Junge – starrte sie an, bis sie heftig errötete und rasch den Kopf senkte, um sich unter ihrem Haar und dem Kopftuch zu verstecken. Sie wusste sehr wohl, was er dachte.
Sie kann keine Tochter der Clayr sein, überlegte Sam. Die Clayr waren allesamt groß, blond und elegant gekleidet. Dieses Mädchen – diese junge Frau – war dunkelhaarig und trug eine seltsame Aufmachung. Ihr rotes Wams hatte nichts mit den sternengesprenkelten weißen Gewändern der Clayr gemein, die er in Belisaere gesehen hatte. Und ihr fehlte das ruhige Selbstvertrauen der Seherinnen, das ihn jedes Mal nervös gemacht hatte, wenn er ihnen zufällig auf den Gängen des Schlosses begegnet war.
»Ihr seht nicht wie eine Tochter der Clayr aus«, sagte er schließlich und paddelte mit der Badewanne näher. Die Strömung trug ihn bereits an der
Finderin
vorbei, und er musste sich anstrengen, nicht davongerissen zu werden. »Aber ich nehme an, dass ich Euch glauben kann.«
»Halt!«, rief Lirael und richtete den Bogen auf ihn. »Wer seid Ihr? Und weshalb tragt Ihr die Glocken eines Nekromanten?«
Sam blickte auf seine Brust. Er hatte vergessen, dass er das Bandelier umgeschlungen hatte. Jetzt wurde ihm bewusst, wie kalt dieses Bandelier war, wie sehr es auf seine Brust drückte und ihm das Atmen schwer machte.
Er nahm es ab, während er überlegte, was er Unverfängliches sagen könnte. Doch Mogget kam ihm zuvor.
»Sehr gut, Mistress Lirael! Dieser zerlumpte Bursche, wie Ihr ihn genannt habt, ist Seine Hoheit Prinz Sameth, der Abhorsen-Nachfolger. Deshalb die Glocken. Doch nun zu Wichtigerem. Könnt Ihr uns helfen? Dieses… Boot ist nicht das, was ich gewohnt bin, und Prinz Sameth ist erpicht darauf, mir noch vor meinem Morgenschläfchen einen Fisch zu fangen.«
Lirael blickte die Hündin fragend an. Sie wusste, wer Prinz Sameth war. Aber warum in aller Welt trieb der Sohn von König Touchstone und Abhorsen Sabriel in einer Badewanne auf dem Ratterlin herum, meilenweit von jeder Zivilisation entfernt?
»Er ist ein königlicher Prinz«, bestätigte die Hündin schnüffelnd. »Ich spüre sein Blut. Außerdem ist er verwundet… und deshalb so gereizt. Im Grunde ist er noch nicht mehr als ein Welpe. Aber auf den anderen musst du achten. Den Mogget.
Weitere Kostenlose Bücher