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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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noch nie gehört«, murmelte Sam und blickte auf seine Satteltaschen, als wären Giftschlangen darin. »Ich müsste das
Buch der Toten
studieren, aber ich ertrage es nicht einmal, nur auf den Einband zu blicken, geschweige denn, darin zu lesen. Ich habe versucht, das Buch zu Haus zu lassen, doch es ist mir zusammen mit den Glocken gefolgt. Ich kann ihm nicht entkommen. Und jetzt brauche ich wahrscheinlich beides, um Nick zu retten. Es ist so schrecklich ungerecht. Ich wollte nie Abhorsen-Nachfolger werden!«
    Und ich wollte nie, dass meine Mutter mich verlässt, als ich fünf war, oder dass ich eine Clayr ohne Sicht bin, dachte Lirael. Doch er war noch sehr jung, dieser Prinz Sameth; außerdem machten ihm offenbar die Schmerzen und die Müdigkeit zu schaffen, wie schon die Hündin gesagt hatte. Lass ihm seinen Anfall von Selbstmitleid, sagte sich Lirael. Wenn sein Zustand sich bis morgen nicht gebessert hat, kann die Hündin ihn ja beißen. Das hatte bei ihr immer gewirkt.
    Statt zu sagen, was sie dachte, streckte Lirael die Hand aus, um das Bandelier neben Sam zu berühren.
    »Habt Ihr etwas dagegen, wenn ich mir die Glocken ansehe?«, fragte Lirael. Sie konnte die Macht der Glocken fast körperlich spüren. »Wie benutzt Ihr sie?«
    »Im
Buch der Toten
wird erklärt, wie man es machen muss«, antwortete Sam zögernd. »Doch üben kann man mit den Glocken nicht. Sie können nur im Ernstfall eingesetzt werden. Nein! Nein… bitte, nehmt sie nicht heraus!«
    »Ich werde vorsichtig sein«, versprach Lirael, erstaunt über Sams Reaktion. Er war bleich geworden, richtiggehend weiß in der Dunkelheit, und zitterte. »Ich kenne mich ein bisschen damit aus, weil die Glocken ähnlich sind wie meine Flöten.«
    Sam bewegte sich ein paar Schritte zurück. Panik stieg in ihm auf. Wenn sie nun eine Glocke fallen ließ oder unbeabsichtigt läutete, würden sie vielleicht beide in den Tod gerissen. Das machte ihm Angst, schreckliche Angst. Gleichzeitig aber drängte es ihn danach, Lirael das Bandelier zu reichen, als könnte dies seine Verbindung zu den Glocken irgendwie lösen.
    »Ich nehme an, Ihr könnt Euch die Glocken ansehen«, sagte er zögernd. »Wenn Ihr es wirklich wollt.«
    Lirael nickte nachdenklich und strich über die glatten Mahagonigriffe und das mit Bienenwachs behandelte Leder. Sie hatte das plötzliche Bedürfnis, sich das Bandelier umzulegen und in den Tod zu schreiten, damit sie die Glocken ausprobieren konnte. Sie waren so machtvoll, dass ihre kleine Panflöte im Vergleich dazu ein Spielzeug war.
    Sam beobachtete, wie sie die Glocken berührte, und schauderte, als er sich erinnerte, wie kalt und schwer sie sich auf seiner Brust angefühlt hatten. Liraels Kopftuch war nach hinten gerutscht, und ihr langes schwarzes Haar quoll heraus. Im Feuerschein spiegelte sich irgendetwas in ihrem Gesicht, das Sam bekannt vorkam. Er hatte das Gefühl, dass er sie von früher kannte. Aber das war unmöglich – er hatte den Gletscher nie besucht, und Lirael hatte ihn bisher nie verlassen.
    »Dürfte ich auch einen Blick in das
Buch der Toten
werfen?«, fragte Lirael und konnte die gespannte Erwartung in ihrer Stimme nicht unterdrücken.
    Sam starrte sie einen Augenblick wie gelähmt an. »Das
Buch der Toten
könnte Euch vernichten!«, stieß er dann ängstlich hervor. »Es eignet sich nicht zum Zeitvertreib. Es ist gefährlich!«
    »Ich weiß«, antwortete Lirael. »Ich kann es nicht erklären, aber ich habe das Gefühl, dass ich es lesen
muss.«
    Sam überlegte. Die Clayr waren Cousinen des Königs-Geschlechts und der Abhorsen, also hatte Lirael wohl das Blutrecht. Sie hatte auch das
Buch des Erinnerns und Vergessens
studiert, was immer das war, und dies hatte sie offenbar zu etwas Ähnlichem wie einer Nekromantin gemacht, zumindest, was die Besuche im Tod betraf. Und ihr Charterzeichen war echt und klar.
    »Das Buch ist da drinnen.« Sam deutete auf die Satteltasche. Dann wich er zurück, bis er etwa zehn Schritt vom Feuer entfernt war, wobei sich sowohl die Hündin wie auch Mogget zwischen ihm und Lirael befanden – und dem Buch. Dann legte er sich nieder und wandte betont den Blick von Lirael ab. Er wollte das Buch nicht einmal sehen. Sein fliegender Frosch sprang ihm nach und befreite seine provisorische Liegestatt von Mücken.
    Sam hörte, wie in seinem Rücken die Riemen seiner Satteltaschen geöffnet wurden. Dann nahm er das sanfte Leuchten eines Charterlichts wahr; das Klicken von Silberverschlüssen und das

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