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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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vergangener Generationen der Clayr trugen oder die völlig andersartige Bekleidung der Menschen aus dem barbarischen Norden. Es gab Treibhäuser, in denen die Gewächse von Sendlingen betreut und von Charterzeichen beleuchtet wurden, die hell waren wie die Sonne. Dann wieder gab es Räume völliger Finsternis, die nicht nur alles Licht verschluckten, sondern auch jeden, der so dumm war, diese Räume unvorbereitet zu betreten.
    Lirael hatte einen Teil der Bibliothek bei langen, geführten Besichtigungen mit den anderen aus ihrem Jahrgang gesehen. Sie hätte damals gern die Räume betreten, an deren Türen sie vorbeigingen, und wäre am liebsten über die Abtrennungen aus roten Kordeln gestiegen, hinter denen Gänge und Stollen lagen, die nur von Bibliothekarinnen benutzt werden durften, die eine entsprechende Befugnis hatten.
    »Warum möchtest du dort arbeiten?«, fragte Sanar.
    »Es ist… interessant«, antwortete Lirael stockend. Sie wollte nicht zugeben, dass die Bibliothek der beste Ort war, um sich vor den anderen Clayr zu verstecken. Und im Geheimen hatte sie trotz allem nicht vergessen, dass sie in der Bibliothek vielleicht einen Zauber zu finden vermochte, mit dem sie ihr Leben würde schmerzlos beenden können. Natürlich nicht jetzt, wo sie wusste, dass sie die Sicht vielleicht doch noch erhielt. Vielleicht aber kam später erneut der Zeitpunkt, über ihren Tod nachzudenken, wenn sie älter wurde, ohne die Gabe der Sicht zu erlangen, und wieder von schwärzester Verzweiflung erfüllt war, so wie heute Vormittag.
    »Es ist interessant«, bestätigte Sanar. »Aber es gibt auch gefährliche Dinge und gefährliches Wissen in der Bibliothek. Würde dich das stören?«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Lirael wahrheitsgemäß. »Es kommt darauf an, was es ist. Aber ich würde wirklich gern dort arbeiten.« Sie hielt kurz inne; dann fuhr sie leise fort: »Ich möchte beschäftigt sein, so wie ihr gesagt habt, und darüber vergessen, dass ich die Sicht noch nicht habe.«
    Die Clayr wandten sich von Lirael ab und versammelten sich in einem engen Kreis, der Lirael ausschloss. Dann flüsterten sie miteinander. Lirael beobachtete sie angespannt. Sie wusste, dass sie an einem entscheidenden Punkt in ihrem Leben stand. Der Tag war schrecklich gewesen, doch jetzt konnte sie wieder hoffen.
    Schließlich hörten die Clayr zu flüstern auf. Lirael blickte durch den Vorhang ihres Haares auf sie, der ihr Gesicht fast verbarg, worüber sie froh war: Die Clayr sollten nicht an ihrer Miene ablesen können, wie sehr sie die Arbeit in der Bibliothek herbeisehnte.
    »Weil heute dein Geburtstag ist«, sagte Sanar, »und weil wir es für das Beste halten, haben wir beschlossen, dass du wie gewünscht in der Großen Bibliothek arbeiten darfst. Melde dich morgen früh bei Vancelle, der Oberbibliothekarin. Wenn sie dich nicht aus irgendeinem Grund für ungeeignet hält, wirst du als Assistentin dritten Grades anfangen.«
    »Danke!«, rief Lirael, doch es kam wie ein Krächzen aus ihrem Mund, deshalb musste sie es wiederholen. »Danke!«
    »Da ist noch etwas«, sagte Sanar und stellte sich so dicht vor sie, dass Lirael den Kopf in den Nacken legen musste, um ihrem Blick begegnen zu können. »Du hast heute ein Gespräch gehört, das nicht für deine Ohren bestimmt war. Und du hast einen Besuch beobachtet, der niemals stattgefunden hat, ist das klar? Der Zusammenhalt eines Königreichs ist etwas sehr Zerbrechliches, Lirael. Sabriel und Touchstone hätten anderswo und zu anderen nicht so freiheraus gesprochen.«
    »Ich werde keinem etwas sagen!«, versicherte Lirael. »Kein Wort, ehrlich!«
    »Du wirst dich überhaupt nicht mehr daran erinnern«, sagte Ryelle, die hinter sie getreten war und jetzt den Zauber freigab, den sie in der Hand gehalten hatte. Ehe Lirael auch nur versuchen konnte, den Zauber unwirksam zu machen, fiel eine Kette heller Charterzeichen über ihren Kopf und drückte auf ihre Schläfen.
    »Zumindest wirst du es so lange vergessen, bis du dich wieder daran erinnern musst, falls es je so weit kommt«, fuhr Ryelle fort. »Ansonsten aber wird dir alles im Gedächtnis bleiben, was du heute getan hast. Statt der Erinnerung an Sabriel und Touchstone allerdings wirst du an eine Zufallsbegegnung mit uns glauben. Du hast einen bekümmerten Eindruck gemacht, darum haben wir über eine passende Arbeit und die Erlangung der Sicht mit dir gesprochen. So bist du zu deinem neuen Posten gekommen, Lirael. Nur das wirst du noch wissen,

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